Herr Melnyk steht, soweit ich das verstanden habe, in Punkto Bandera nicht als Repräsentant der Mehrheit der Ukrainer. Inzwischen ist er wohl auch deswegen abberufen. Den Faible hatte er schon deutlich vor dem Krieg. Und es gibt viele Nationalisten in der Ukraine, die Herrn Bandera, der auch ein Nationalist war, durchaus würdigen, genau dafür.
Prinzipiell, dieses habe ich glaube ich schon mal geschrieben, wählte die Ukraine die letzten Wahlen erstaunlich wenig Rechtsradikal für ein europäisches Land. Weniger als 10%, 2019 sogar weniger als 3% den rechten Block unter Swoboda. In Frankreich ging gerade noch die Angst um, eine nationalistische, ziemlich rechtsradikale Präsidentin zu bekommen. Also bei etwa 78% der Wähler, die anderen hatten offensichtlich keine Angst davor. Als Beispiel.
Herr Bandera hat aber nichts mit dem aktuellen Krieg zu tun.
Mag sein, dass die Zahl der Wähler von offensichtlich rechtsextremen Parteien in der Ukraine eher moderat war. Allerdings ist es vermutlich schwer einzuschätzen, wie die genaue Situation im Parteiengefüge in der Ukraine sich darstellt.
Ich sehe das nicht so gelassen, dass viele Ukrainer Bandera dafür ehren, weil er Nationalist war. Das ist schon kein Nationalismus mehr gewesen, was Bandera praktiziert hat. Das würde ich als Rechtsextremismus, Faschismus und Rassismus bezeichnen, wofür Bandera steht.
Leider habe ich den Eindruck, dass diese Bandera-Verehrung in der Ukraine so sehr salonfähig ist, dass auch scheinbar gemäßigte Pro-ukrainische Volks-Parteien sich nicht weiter schwertun, daran anzuknüpfen, anstatt entschieden zu widersprechen.
In einem Artikel des Wissenschaftsportals der Gerda Henkel Stiftung vom 19.2.22 (also noch vor dem russischen Einmarsch) heißt es: "Während in der Westukraine in den letzten zwanzig Jahren Denkmäler und Museen für ihn (Bandera) errichtet wurden, wird er bis heute in der Ost- und Zentralukraine als Verräter, Massenmörder und Faschist wahrgenommen."
Diese Berichterstattung deutet darauf hin, dass der seit 2014 schwelende Konflikt in der Ukraine eigentlich als Bürgerkrieg bezeichnet werden muss. Spätestens mit dem russischen Einmarsch aber wird dieser Aspekt des Krieges, dass es ein Bürgerkrieg ist, nicht mehr wahrgenommen.
Bandera hat deshalb sehr wohl etwas mit dem aktuellen Krieg zu tun, natürlich nicht er persönlich, denn er ist seit langem tot. Aber seine aktuellen Verehrer sind höchst lebendig. Und umgekehrt sind auch diejenigen höchst lebendig, die sich als langer Arm der Geschichte betrachten, der dafür zu sorgen hat, dass Banderas "Erben" ebenso mit brutalen militärischen Mitteln zu bekämpfen sind, wie man es auch schon zu Sowjetunion-Zeiten getan hat. Tatsächlich hat der sowjetische Geheimdienst zu Lebzeiten Bandera und seinen Parteigängern in der OUN und derem militärischen Arm der UPA mächtig zugesetzt:
"Um OUN und UPA endgültig aufzulösen, deportierte der NKWD ihre Familien ins Innere der Sowjetunion und verhaftete und ermordete eine große Anzahl von Unterstützern der Bewegung."