Mir fällt gerade in den letzten Tagen und Wochen wieder auf, dass die örtliche Lokalzeitung primär Berichterstattung pro Auto fährt — ganz so, als bestünde die Leserschaft primär aus Kraftfahrern und Menschen, die mit der Verkehrswende oder Fahrrädern oder Füßen so gar nichts anfangen können.
Da wird zum Beispiel der tägliche Stau an der Kaistraße bemängelt. Und dann sind auch noch die Radfahrer schuld, weil nach Fertigstellung des Kleinen Kiel-Kanals die Buslinien neu geordnet wurden und eine provisorische Bushaltestelle, die den Radweg unterbrochen hatte, nun wieder abgebaut wird.
Dass diese Arbeitsstelle seit einiger Zeit den Radweg an einer der Hauptverkehrsstrecken für den Kieler Radverkehr komplett unterbricht, wird im Artikel natürlich nicht erwähnt. Der Stau der vielen Kraftfahrzeuge auf der Fahrbahn ist interessanter.



Manchmal gibt es aber auch sinnvolle Artikel, deren Nutzen sich erst auf den zweiten Blick erschließt: Wie gut sind die Parkhäuser im Zentrum?
Ja, ich dachte beim Lesen des Parkhaus-Tests erst, Puh, was für ein Theater nur für Reichweite und Klicks, aber so unrecht hat die Zeitung gar nicht mal: Wir reden ständig davon, dass die Leute doch einfach ins nächste Parkhaus fahren sollen anstatt fünf Runden im Parksuchverkehr um den Block zu treiben und dann ordnungswidrig auf dem Gehweg zu parken, aber tatsächlich ist das ja so ein Ding: Will man in einem Parkhaus parken, wo sich im Laufe des Abends seltsame Gestalten herumtreiben und trinken und pöbeln? Damals, als ich noch mit meinem grünen Polo unterwegs war, habe ich tatsächlich mehrere Male beispielsweise im Parkhaus an der Falkstraße geparkt und musste vor dem Bezahlen des Parkscheins erst einmal warten, bis einige Betrunkene ihre Meinungsverschiedenheit um eine Flasche Bier geklärt hatten. Einmal hat auch jemand in den Geldrückgabeschlitz des Automatens gepisst — zum Glück konnte man damals noch bargeldlos mit Geldkarte bezahlen.
Will sagen: So ein Parkhaus-Test ist eigentlich gar keine so ganz schlechte Idee, wenn man den Leuten immer wieder das verkehrswendegerechte Parken dort empfehlen will. Auch wenn es natürlich nach wie vor nicht mein Problem ist, wo die Leute mit ihrer Karre abbleiben, wenn sie in die Stadt fahren und sich nicht ins Parkhaus trauen. Aber man sollte es im Auge behalten.
Aber am schönsten, weil mutmaßlich am reichweitestärksten und empörungstreibensten ist das Dauerthema Parkplätze! Beziehungsweise die so genannte Parkplatzvernichtung. Und das treibt manchmal reichlich seltsame Blüten — etwa mit dieser Umfrage, die mit Fahrradbügel statt Parkplätze: Werden Autofahrer in Kiel benachteiligt? überschrieben wird. Standesgemäß wird als Gegenüberstellung ein Titelfoto gewählt, bei dem ein Fahrrad eine Menge leerer Fahrradstellplätze ziert und ein Foto, auf dem die Parkplatznot in engen, vollgeparkten Straßen dargestellt wird. Ich gehe davon aus, dass diese Auswahl der Fotos kein Zufall ist und in seiner Funktion als Vorschaubild in den gesellschaftlichen Netzwerken die Leute so richtig heiß machen soll.
Erst beim Lesen des Artikels bekommt man raus, wie dramatisch es um die Parkplatzvernichtung in Kiel, der Landeshauptstadt im Klimanotstand wirklich bestellt ist: Es wurden 50 Parkplätze der Vernichtung zugeführt. Moment: 50 Parkplätze seit 2014, also ungefähr neun pro Jahr. Na, das nenne ich mal eine Benachteiligung, Donnerwetter.
Leider haushalten die Kieler Nachrichten sehr streng mit ihren Informationen, denn die Zeitung legt in einem anderen Artikel hinter der Bezahlschranke ausführlich dar, wo Parkplätze in Fahrradstellplätze umgewandelt wurden und vor allem: Dass in diesen sechs Jahren ganze 2.000 zusätzliche Stellplätze für Kraftfahrzeuge geschaffen wurden: So viele Parkplätze mussten in Kiel für Fahrräder weichen
Allein diese Wortwahl: Kraftfahrer werden „benachteiligt“, Parkplätze „geopfert“ oder „vernichtet“ oder „zerstört“, Radfahrer „blockieren“ die Straße, missachten die Verkehrsregeln und werden ohnehin grundsätzlich im negativen Kontext dargestellt oder erst gar nicht erwähnt.
Als beispielsweise am Kieler Königsweg die Einfahrt aus der Ringstraße für den Kraftverkehr unterbunden und damit ein Unfallschwerpunkt entschärft wurde, bekamen die Gegner der Sperrung binnen drei Tagen vier Artikel platziert (1, 2, 3, 4), um ihre durchaus berechtigte Kritik darzulegen, aber in keinem einzigen dieser Artikel kommen die in der Regel zweiradfahrenden Befürworter der Sperrung zu Wort, die an dieser Kreuzung jetzt nicht mehr regelmäßig „übersehen“ werden. So bleibt beim Leser natürlich das Bild hängen, dass diese Sperrung tatsächlich ganz großer Unsinn wäre — schade.
Und obwohl Radfahrer in dieser Lokalzeitung quasi nicht oder nur im negativen Kontext erscheinen, haben die Kieler Nachrichten offenbar am Mittwochmorgen die Stadt großflächig mit diesen albernen Sattelüberziehern ausgestattet:

Anscheinend, so wurde mir zu getragen, liefen die Leute sogar in Innenhöfen herum, um die Werbeartikel zu platzieren. Die darauf abgedruckte Frage soll wohl lustig sein, ich hätte mich wohl auch gefragt, wer sich denn traut, mein Fahrrad anzufassen, aber ich hätte mich eher mittelmäßig um diesen Überzieher mutmaßlich minderer Qualität gefreut.
Und vor allem ist echt die ganze Stadt voll damit:



Sogar Kinderräder wurden nicht verschont, obwohl die lieben Kleinen vermutlich noch gar nicht lesen können. Aber wer weiß, vielleicht hat man im dem Alter noch keine Berührungsängste hinsichtlich des eigenen Drahtesels und freut sich sogar über dieses Geschenk:


Zehntausende Leser gingen allerdings leer aus — Kraftfahrzeuge haben leider keine Geschenke bekommen. Obwohl man sicherlich auch diese albernen Handschuhe für die Außenspiegel hätte bedrucken können, die ja etwa in Schwarzrotgold besonders zu Fußball-Weltmeisterschaften beliebt sind, hat man sich wohl nicht so richtig getraut, das heilige Blech des Abonnenten zu berühren. Denn Kraftfahrer verärgern, das kann sich nunmal keine Lokalzeitung leisten:

Und eigentlich sind diese Sattelmützen eine richtig gute Marketingaktion:
- Einige Radfahrer freuen sich darüber, nutzen diesen Überzieher eine Weile, machen damit kostenlose Werbung: Profit!
- Andere Radfahrer ärgern sich, posten Fotos davon auf Twitter und erhöhen dadurch die Reichweite: Profit!
- Wenn die Dinger nach ein paar Tagen als Müll durch die Gegend fliegen, kann man noch mal einen Artikel über Radfahrer verfassen, die ihren Müll überall herumliegen lassen und nicht den Weg zum Mülleimer finden. Das klickt gut, das bringt Reichweite: Profit!