Wir wohnen nun noch nicht mal ein halbes Jahr in dieser Stadt und was Radfahren angeht, bin ich hier schon fertig. Meinetwegen können wir jetzt weiter zur nächsten Stadt.
Zusätzlich zu den ganzen Kalamitäten, die aus einer autogerechten Straßenführung mit einseitigen Zweirichtungsradwegen erwachsen, tritt in Lüneburg das Problem auf, die Leute, weil sie ja gelernt haben, auf gar keinen Fall auf der Fahrbahn zu fahren und weil es so viel Kopfsteinpflaster gibt, häufig auf dem Gehweg unterwegs sind, aber dann doch plötzlich unvermittelt den Kantstein herunterhüpfen, weil es auf der Fahrbahn dann doch ganz schön ist.
Nun ist es mir eben zum vierten Mal passiert, dass ich in einen solchen Gehweg-dann-doch-lieber-Fahrbahnradler beinahe reingekracht wäre.
Das erste Mal fuhr jemand mit seinem Rad auf dem engen Gehweg der Holzbrücke hier gegenüber, klingelte erfolglos einen Fußgänger an und wechselte dann unvermittelt auf die Fahrbahn. Das sah ich zwar kommen, war aber aufgrund des Autos, das uns just in diesem Moment überholte, etwas unangenehm. Ich weiß auch nicht, ob er denn wenigstens das Auto wahrgenommen hat und trotzdem runterhüpfte — keine Ahnung.
Das zweite Mal fuhr eine Dame bei roter Fußgängerampel plötzlich von Gehweg auf die andere Straßenseite und „übersah“ mich dabei auf der Fahrbahn. Damit hatte ich nicht gerechnet und das kostete bestimmt ein Zehntel des Bremsbelages. Als dank schallte mir nur ein „Was hast’n du für’n Problem?“ hinterher.
Dann kam die ADFC-Fahrradstraßen-Kreisfahrt, die hier immer am letzten Freitag im Monat als eine Art Critical Mass drei Mal den geplanten Fahrradstraßenring entlangkreist. Eine Gehwegradlerin purzelte unvermittelt vom Gehweg runter auf die Fahrbahn direkt ins Teilnehmerfeld, ich legte eine Vollbremsung hin, rutschte aber in den Rinnstein und riss mir am Pedal meine Fahrradhose auf. Anschließend wurde mir der Sachverhalt von der Gehwegradlerin ganz anders dargelegt, denn erstens hätte ich nach § 1 StVO aufpassen müssen und zweitens wäre ich ja selbst schuld, denn ich hätte nicht geklingelt. Da haben die übrigen ADFC-Fahrradstraßenkreisfahrer auch nicht schlecht gestaunt.
Und dann war da gerade eben noch der Typ, der mit seinem Baumarkt-Klapper-Mountainbike ohne Licht quasi aus dem Nichts vom linken Gehweg zwischen zwei parkenden Kraftfahrzeugen hindurch auf den rechten Gehweg fahren wollte. Der wäre quasi beinahe im rechten Winkel in mich reingefahren, hätte ich nicht gebremst. Als Dank für meine Vollbremsung sah ich mir direkt den Mittelfinger an.
Ich habe ja die Vermutung, dass diese autozentrierte Infrastruktur in dieser Stadt den gleichen Effekt hat wie in jeder anderen Stadt auch: Man kann mit dem Rad entweder an jeder zweiten Kreuzung artig an der Bettelampel auf grünes Licht warten, obwohl man nur der Vorfahrtstraße folgend geradeaus möchte, oder man springt eben nicht über jedes Stöckchen, dass die SPD-geführte Verwaltung über den Radweg hält, und fährt einfach wie man es selbst für richtig hält. Denn auch in dieser Stadt gilt offenbar: Die Hauptsache ist, dass der „echte Verkehr“ nicht behindert wird.