21. November: Dicke Luft in Hamburg

  • Gestern lud die ZEIT-Stiftung zum Thema Dicke Luft - Welche Rolle soll das Auto in der Stadt noch spielen? ins Bucerius Kunst Forum.

    20:00 Uhr: Los geht’s. Die übliche Einleitung, die es immer zu diesem Thema gibt.

    Späßchen: „Dicke Luft“ könnte auf zwei Weisen verstanden werden: Einerseits die Abgas- und Luftverschmutzungsproblematik, andererseits mit dem ganzen Stress draußen auf den Hamburger Straßen.

    Ich verzichte mal auf die übliche Tipparbeit, weil NDR 90,3 die Veranstaltung aufzeichnet und senden wird.

    Frage an Kerstan: Wie grün ist der Zeitgeist heute wirklich?

    So grün wie nie. Vor einem Jahr bei der Bundestagswahl war man von sechs Parteien die sechste, heute beobachte man in Bayern und Hessen deutliche Zuwächse. Deutschland habe seinen Vorsprung im Bereich des Klimaschutz’ in den letzten Jahren verspielt.

    Zum Thema Fahrverbote: Zum 31. Mai sind in Hamburg die ersten Fahrverbote der Bundesrepublik in Kraft getreten. Diesel-Pkw und -Lkw sind nun von ein paar hundert Metern der Stresemannstraße und Max-Brauer-Allee ausgenommen. Welches Fazit könne man da nach einem halben Jahr ziehen?

    Kerstan: Man könnte den 218-seitigen Luftreinhalteplan mit hundert Einzelmaßnahmen nicht auf die beiden Straßenabschnitte reduzieren. Es gibt in 41 Kilometern Straße der Stadt Probleme mit der Einhaltung der Grenzwerte, bis zum Jahr 2020 müssen diese 41 Kilometer mit anderen Maßnahmen in den Griff bekommen werden.

    Ob die Fahrverbote eine wirksame Maßnahme sind, könne man erst einmal in ein paar Monaten erkennen. Auflage der EU wäre nicht, dass die Grenzwerte täglich, sondern dass der Jahresdurchschnittswet eingehalten wird. Man habe vom Jahr 2016 bis 2017 eine Verbesserung von 21 Prozent erreicht — das habe am gesperrten Lessingtunnel gelegen, der das Verkehrsaufkommen gesenkt habe. Das entspräche zehn Mikrogramm weniger im Durchschnitt.

    Nach fünf Monaten läge man in der Max-Brauer-Allee noch bei 48 Mikrogramm.

    Mittlerweile würde der Bereich von auswärtigen Fahrern gemieden, weil die Fahrverbote mittlerweile in den Navigationsgeräten einprogrammiert würde.

    Aufgrund der ganz besonderen Wetterlage in diesem Sommer wäre der Schadstoffausstoß in diesem Sommer außerordentlich hoch gewesen.

    Kerstan hält Durchfahrtsverbote für die zweitbeste Lösung: Die beste Lösung wären sauberere Autos. Wenn Autos die Mengen ausstießen, die in den Papieren stehen, gäbe es gar keine Probleme. Die Bundesregierung handle seit Jahren nicht, da könne Hamburg wenig tun — dennoch wäre Hamburg in der Verantwortung, trotz alledem die Einhaltung der Grenzwerte zu garantieren.

    Die bisherige Lösung mit diesen beiden Durchfahrtsbeschränkungen wäre aber Käse, weil man die Schadstoffe nun auf die ganze Stadt verteile. Man drückt zwar die Belastung in den beiden gesperrten Straßen, erhöht aber im Umfeld die Schadstoffbelastung. Mehr könne Hamburg aber nicht tun, Kerstan könne nunmal nicht anordnen, dass die Autos sauberer würden.

    Nun sollen wir die beiden lustigen Abstimmungskarten kennenlernen:

    Mit öffentlichen Verkehrsmitteln gekommen?

    Mit dem Fahrrad gekommen?

    Mit dem Auto gekommen?

    Wer fährt zur Arbeit mit dem Auto?

    Wer fährt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln?

    „Und was ist mit dem Fahrrad?“ Hat mal wieder keiner dran gedacht.

    Ganz brisant: Wer fährt noch Diesel?

    Nun melden sich verschiedene Gäste zu Wort. Eine Dame fährt fast ausschließlich mit dem Fahrrad, hat aber noch einen Diesel-VW-Bus zu Hause. Ein anderer kaufte sich vor 13 Jahren einen Diesel, weil er glaubte, der Umwelt etwas Gutes zu tun. Den wollte er auch nicht gegen ein neues Fahrzeug austauschen, weil er er die gesamte Emissionskette des Wagens inklusive Herstellung und Verschrottung betrachte.

    Momentan mache ein Automobilhersteller mit dem Slogan „Hamburg bleibt mobil“ Werbung. Wie kann Mobilität in Hamburg funktionieren?

    Kerstan: Die Verkehrsfläche lasse sich nicht mehr vergrößern, eine individuelle Mobilität im Personenverkehr wäre nicht mehr ausbaufähig. Es müssten alternative Fortbewegungsmöglichkeiten angeboten werden. Der Senat müsse dafür Sorgen, dass die Menschen bequem und umweltschonend von A nach B kommen. Dazu baue man den öffentlichen Nahverkehr aus, erhöhe die Takte bei Bussen und Bahnen und wolle den Radverkehrsanteil auf 25 Prozent steigern.

    Das Problem: Eine U- oder S-Bahn baut sich eben nicht in drei Monaten, das wären längere Projekte. Nicht jeder könne derweil auf den öffentlichen Nahverkehr umsteigen.

    Marc Widmann von der Zeit ist dran:

    Die Stadt messe den Straßenverkehr an vier Stellen der Stadt, man habe zusätzliche zwanzig Röhrchen aufgehängt, um den Stickstoffdioxid-Anteil zu messen.

    An den Landungsbrücken habe man direkt an Brücke 3 gemessen, dort habe man im September 89 Mikrogramm pro Kubikmeter gemessen. An der Fruchtallee, der Ausweichstrecke für LKW von der Stresemannstraße, wäre der Wert nun bei 64 Mikrogramm pro Kubikmeter, da habe man allerdings keinen Vergleichswert zum Vorjahr.

    Da Hamburg aber nur vier Messstationen an der Straße hätte und den Rest hochrechne, wären vor allem diese vier Straßen berühmt, so wie das Neckartor in Stuttgart.

    Kerstan erklärt zwischendurch noch mal die Aufstellung der Messstationen, die 25 Meter von Kreuzungen entfernt sein müssten. Bei identischem Schadstoffausstoß wäre der Grenzwert in engen, hoch bebauten Straßen wie der Stresemannstraße direkt überschritten, an weiten, vier- oder sechsstreifigen Straßen mit guter Belüftung und aufgebrochener Bebauung wäre dieser Grenzwert einzuhalten. Eine durchgängige Messung an allen 41 Kilometern koste mehrere hundert Millionen Euro, da könne man nur mit Hochrechnungen arbeiten.

    Zwischendurch noch mal eine Kartenabstimmung: Rote Karte, wenn man sich von der Luftverschmutzung beeinträchtigt fühlt, sonst grün. Ergebnis ist eher halbe-halbe.

    Wortmeldung von einem Anwohner von der Sternbrücke, der sich von den Schadstoffen beeinträchtigt fühlt. Er bemerkte die Luftverschmutzung durchaus, müsse beim Fensterputzen ständig was Waschwasser erneuern, so schwarz wäre es vom Feinstaub.

    Kerstan: Man müsse die Gesundheit des Menschen nunmal gegen die von der Verfassung verbrieften Rechte der Autofahrer aufwiegen. Es gibt ein Regelwerk, an das man sich halten muss, also könne man nicht einfach alles mögliche anordnen, weil das gerichtlich überprüft werde.

    Noch mal der Anwohner: Die Grenzwerte von der EU wären ja schon länger bekannt, warum handelt man erst jetzt und nicht schon vor Jahren?

    Kerstan zählt noch mal sein Maßnahmenpaket auf.

    Der nächste. Jetzt ist eine Anwohnerin aus der Max-Brauer-Allee dran, die ebenfalls unter den Schadstoffen leidet. Sie ist mit den bisherigen Maßnahmen nicht zufrieden, die Straße werde schließlich erst in zwei Jahren umgebaut, die sauberen Busse hätten die Belastung nur unwesentlich gesenkt. Man habe darum eine Untätigkeitsklage angestrengt — weil die nicht bearbeitet wurde, hat sich das Ding in eine so genannte Versagungsklage umgewandelt.

    Nummer 3: Die Stadt könne auch gerne die eigene HADAG-Flotte erneuern, deren Emissionen wirkten ganz lokal extrem. Zum Thema Landstrom: 40 Schiffe liefen den Hafen an, vier könnten den Landstrom abnehmen, eines tut es für vier Stunden — das reicht nicht.

    Manfred Braasch vom BUND:

    Man habe jahrzehntelang auf das Auto gesetzt und bekomme nun die Rechnung. In Wien betrage der Anteil des öffentlichen Personennahverkehrs 40 Prozent, in Hamburg wäre es gerade mal die Hälfte. Hamburg habe den Wandel einfach verschlafen.

    Nun folgt ein thematischer Ausflug zu Tempo 30 und 50, es wäre schön, wenn Tempo 30 künftig die Regelgeschwindigkeit wäre und Tempo 50 explizit angeordnet und begründet werden müsste.

    Man könne in den letzten zehn Jahren ein regelrechtes Politikversagen hinsichtlich der Luftschadstoffe beobachten. Die Richtlinien wären seit 2010 geltendes Recht, die habe man verschlafen, nun müssten Gerichte die Fahrverbote anordnen, so dass ein regelrechter Flickenteppich entstünde.

    Kartenfrage zu Tempo 30 und 50: Etwa 80 Prozent sind für Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit.

    Marc Widmann:

    Der BUND hätte die Stadt verklagt, es würde nächstes Jahr darüber befunden, ob die bisherigen Maßnahmen aus dem Luftreinhalteplan ausreichen.

    Man dürfe aber nicht vergessen, dass die Situation draußen etwas anders aussähe. Man habe vor fünfzig Jahren die Straßenbahn abgeschafft, ein Come-Back der Stadtbahn habe Olaf Scholz abschlägig beschieden aus Angst vor Autofahrern. Hamburger Politiker hätten gelernt, selbst für kleine Veränderungen ordentlich auf den Deckel zu bekommen, so dass man lieber die Gerichte entscheiden lässt, um nicht sein eigenes Todesurteil zu unterschreiben.

    Braasch zu den Grenzwerten:

    Die 40 Mikrogramm wären bereits ein Kompromiss, schließlich gäbe es Studien, dass bereits viel geringere Belastungen das Lungenwachstum von Kindern beeinträchtige. Man müsse sich wenigstens darauf verlassen können, dass dieser Kompromiss eingehalten würde.

    Man könne aber Projekte die Stadtbahn politisch überleben, wenn man an der Kommunikation arbeite. Eine kleine, aber sehr beschwerdemächtige Klientel habe die Debatte gedreht, damals habe man aufgrund der Proteste am Winterhuder Marktplatz nicht durchgehalten.

    Die Stadtbahn wäre total super, sie koste nur ein Zehntel einer U-Bahn, nähme deutlich mehr Fahrgäste als ein Bus auf und man führe oberirdisch, erlebe also die Stadt. In der Zeit, in der in Hamburg diskutiert wurde, hätten zwanzig weitere Städte die Stadtbahn wieder eingeführt — auch in Hamburg werde man für diese Versäumnisse die Rechnung bekommen.

    Kerstan:

    Bei Wahlen wäre jedes Mal derjenige abgestraft worden, der für die Stadtbahn eingetreten ist. Wenn die Bürger diese Bahn wollten, hätte man das an der Urne ausdrücken müssen.

    Zu den Elektrobussen: Deutsche Hersteller hätten nicht liefern können — und die Busse, die in China fahren, hätten eine Zuverlässigkeit von 50 Prozent und wären nach wenigen Jahren verschlissen. Das könne man sich nicht leisten.

    Zum Thema Radverkehr: Seit zwanzig Jahren trommle man für den Radverkehr, aber erst die veränderte Bereitschaft in der Bevölkerung, das Rad wirklich zu nutzen, ermögliche einen Mobilitätswandel. Kerstan erinnert sich noch an die Debatte zum Harvestehuder Weg, der auf erheblichen Widerstand getroffen wäre.

    Den Herrn Scheuer kann Kerstan offenbar nicht leiden, denn Scheuer wäre dafür zuständig, dass die Abgasnormen eingehalten werden, stattdessen will Scheuer erstmal wissen, ob Kerstans Stationen denn überhaupt richtig messen.

    Braasch:

    Das Fahrverbot in der Habichtstraße wäre angesichts der Schadstoffe notwendig, das habe man aber nicht durchgesetzt, weil man das nicht wollte.

    Nun folgen ein paar kleinere Wortmeldungen aus dem Publikum über Baustellen, Parkplätze und so weiter. Und: Die ganzen Autos, die hier in Hamburg zugelassen worden sind, wären ja nicht von Herrn Kerstan gekauft worden, sondern von uns allen — da könnten wir uns gerne einmal selbst an die eigene Nase fassen.

    Kerstan:

    Man könne diverse Straßen für den Autoverkehr reduzieren, Landungsbrücken, Elbchaussee beispielsweise, aber dort habe man sehr viele Schadstoffe aus dem Hafen. Da könne man als Stadt nicht eingreifen, das wären internationale Vereinbarungen.

    HADAG werde man auf umweltfreundliche Antriebe umrüsten, aber das werde man vor 2020 nicht schaffen, sowas koste nunmal Zeit.

    Braasch:

    In der Habichtstraße wäre der Hafen aber sehr weit weg, da stammen die Schadstoffe aus dem Auto.

    Warum bekommen aber Städte wie Los Angeles den Landstromanschluss hin, wir in Hamburg aber nicht? Wieso schreibt Hamburg nicht einfach vor, dass ab 2030 nur noch Schiffe mit Landstromanschluss anlanden dürfen?

    Man müsse es dem Menschen das Umsteigen auf umweltfreundliche Verkehrsmittel nunmal attraktiv machen. Wenn der Bus oder die Bahn voll sind, ist das Umsteigen nicht attraktiv.

    Kerstan:

    Weder die Landes- noch die Bundesregierung könne vorschreiben, welche Treibstoffe die Schiffe nutzen. Das wäre internationales Recht. Außerdem wäre der Hafen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, das lässt sich als Juniorpartner politisch nicht durchsetzen.

    Frage zum Abschluss: Wann werde man die 40 Mikrogramm einhalten?

    Widmann: Keine Ahnung.

    Braasch: Frühestens 2025.

    Kerstan: Der Luftreinhalteplan werde man das zwischen 2020 und 2025 schaffen, wenn die Bundesregierung endlich mal die Autos nachrüsten ließe, ginge es auch schneller.

    Schlussabstimmung: Grüne Karte für Fahrverbote, rote Karte dagegen.

    Zwei Drittel für Fahrverbote.

    Auf Wiedersehen.

  • Der NDR war zwar zugegen, hat aber nicht richtig aufgepasst und titelt: Braasch für Tempo 30 in der ganzen Stadt

    Das hat Braasch in dieser Form nach meiner Erinnerung auch nicht gefordert, aber in den Drunterkommentaren geht’s natürlich ausschließlich darum, mit Tempo 30 durch den Elbtunnel fahren zu müssen und dass Braasch ja in Lüneburg wohne und bestimmt mit dem Dienstwagen nach Hamburg käme.