Es widert mich jedes Mal von neuem an, wenn es wieder heißt, "der [Kraft-]Fahrer hatte keine Chance". Es schafft ein vermeintliches Opfer und verdreht die Tatsachen, wo die Schuld und wo der Schaden liegt.
Hi
da hat wohl Darwin zugeschlagen. Wenn man unerwartet zu dicht vor einem hohen LKW-Führerhaus vorbeigeht, hat der Fahrer keine Chance und imho auch keine Schuld, den schiebenden Radfahrer zu sehen. Ausnahmsweise.
Ganz klares Nein! Die Straßenverkehrsordnung ist da auch klar. Sicherheitsabstände, angepasste Geschwindigkeit, usw. Aus der Betriebsgefahr folgt außerdem noch die Pflicht zur erhöhten Vorsicht.
- Wenn man in einem Fahrzeug fährt, dass einem die Sicht und/oder das Gehör einschränkt und das nicht durch entsprechende Vorsicht ausgleicht, dann hatte man nicht "keine Chance".
- Wenn man mit einem Fahrzeug mit "totem Winkel" abbiegt und jemand anders umfährt, hatte man nicht "keine Chance".
- Wenn man zu schnell oder mit zu geringem Abstand vom Straßenrand oder zu Sichthindernissen fährt und jemanden erfasst, dann hatte man nicht "keine Chance".
- Wenn ein Kind sich auf dem Gehweg losreißt oder sonstwie auf die Fahrbahn läuft, dann hatte man nicht keine Chance.
- Wenn man wegen irgendeiner Ölspur irgendwohin schlittert, dann kann man drüber reden.
Aber: Keine Chance hat (meistens) nur das Unfallopfer. Niemals der Verursacher!
Und weil es schon lang ist und so gut passt:
Eine wesentliche Kampagne in den 70ern in den Niederlanden war "Stop de Kindermoord". Vorher gabs Autogerechtes Verkehrswachstum wie hier, heute können Kinder (und alle Anderen auch) ohne Bedenken ihre Wege mit dem Rad oder zu Fuß machen. Ich hatte mir letztens mal die Polizeipressemeldungen zu Unfällen mit Radfahrern und Fußgängern in Leipzig angeschaut: Es ist schon auffällig, dass bei den Unfallopfern unter den Fußgängern Kinder recht stark vertreten sind (und auch dort oft von "achtete nicht auf den Verkehr" die Rede ist). Insofern: "Keine Chance? Das tote/verletzte Kind/Fußgänger/Radfahrer/Andere hatte keine Chance!" und wer möchte "Stoppt den Kindermord!"
Ja, solche sprachlichen Kämpfe sind ätzend. Noch ätzender ist nur wenn man sie verloren hat (siehe auch )