Eine brauchbare Eselsbrücke für die Juristerei allgemein lautet: Wenn die spezielle Vorschrift nicht gilt oder nicht gelten kann, dann gilt (wieder) die nächste allgemeine.
Das klappt häufig, in dem konkreten Fall aber nicht.
Denn die Situation ist ja durch den Gesetzestext abgedeckt: Der Radfahrer ist auf einer Radverkehrsführung. Denn da steht:
"Davon abweichend sind auf Radverkehrsführungen die besonderen Lichtzeichen für den Radverkehr zu beachten."
und nicht:
"Davon abweichend sind auf Radverkehrsführungen mit besonderen Lichtzeichen für den Radverkehr die besonderen Lichtzeichen für den Radverkehr zu beachten."
Also nach dem Wortlaut: Die Voraussetzung (Radfahrer auf Radverkehrsführung) ist erfüllt. Daraus folgt, dass nur Fahrradampel gelten.
Es ist damit eigentlich kein Fallback auf die allgemeinere Regelung möglich.
Das wird noch dadurch verstärkt, dass unmittelbar dahinter noch auf eine Sondersituation eingegangen wird, in der es normalerweise keine Fahrradampel gibt.
Das Ergebnis ist natürlich unbefriedigend. Denn Radfahrer dürften dann regelmäßig bei rot über große Kreuzungen radeln.
In einem solchen Widerspruch werden Juristen dann kreativ: Sie erforschen, was der Gesetzgeber wohl tatsächlich gewollt hat. Teilweise vollkommen unabhängig vom Wortlaut.
Das Ergebnis in diesem Fall ist noch nicht gefestigt, läuft aber auf die Theorie vom geschützten Kreuzungsbereich hinaus: wenn es keine Fahrradampel gibt und der Radfahrer den durch eine sonstige Ampel geschützten Kreuzungsbereich quert, gilt die Fahrbahnampel. Sonst darf er fahren. Daraus entstehen natürlich wieder Zweifelsfälle. Gerade bei T-Kreuzungen ist es "oben auf dem T" nicht so eindeutig, wie weit sich der Kreuzungsbereich auf das Hochbord erstreckt.
Wer jetzt denkt "Das steht da so doch gar nicht im Gesetz", der hat recht. Trotzdem ist es wohl das einzig sinnvolle Vorgehen. Und wir sollten uns freuen, dass sich nicht die Einstellung eines ehemaligen Verfassungsrichters durchsetzt. Der hatte gefordert, Richter sollen nicht erforschen, was der Gesetzgeber gewollt hat, sondern was der Gesetzgeber sinnvollerweise gemacht hätte. Damit hätten sich die Richter über den Bundestag gestellt.