Ich halte mittlerweile den ganzen Koalitionsvertrag für ein Desaster für die Grünen und ich hoffe, dass ich mich irre.
Nach wie vor denke ich, dass bei den Koalitionsverhandlungen mehr gar nicht rauszuholen war. Die Grünen haben nunmal nur 14 Prozent bekommen, die FDP immerhin 11, außerdem gibt’s da noch den Wahlgewinner mit der SPD, da kriegt man nunmal nicht alle Ministerien, die man gerne hätte. Ich bin natürlich mit den Modalitäten einer Koalitionsverhandlung nicht vertraut, aber ich halte das nicht für ein reines Wunschkonzert.
Die Grünen bieten dabei in der öffentlichen Wahrnehmung immer eine enorme Angriffsfläche, weil sie an ihren eigenen Prinzipien scheitern müssen: Sie kriegen fünf Ministerien, müssen dabei aufgrund der Quotierung drei mit Frauen besetzen. Gleichzeitig wollen sie aber nicht fünf Weiße dort platzieren. Was für ein Fest für strukturkonservative Medien, die von den Grünen mit Aufschäummaterial über parteiinterne Kämpfe frei Haus beliefert werden. Niemanden hätte es interessiert, wie die anderen beiden Koalitionspartner ihre Posten verteilen, denn wen interessiert denn da schon Geschlecht und Herkunft?
Gleichzeitig sind nach meinem Dafürhalten die Grünen die einzige Partei, die nach ihrem eigenen Verständnis dieses Mal an der Regierung beteiligt werden müssen. Was juckt denn Sozial- oder Christdemokraten mal die Opposition für vier Jahre? Was haben die Anhänger dieser Parteien in vier Jahren zu verlieren? Die Grünen aber gehen hin, proklamieren alle vier Jahre die wichtigste Wahl unseres Lebens, weil es hier um Klima- und Umweltschutz ginge, um die Verkehrswende sowieso, und wenn man sich hinstellt und behauptet, man könne sich vier weitere Jahre Nichtstun nicht leisten, dann hat man einen sehr eingeschränkten Verhandlungsspielraum gegenüber den Koalitionspartnern, denen es mit dem Regieren vielleicht nicht so ganz dringlich ist.
Gut, nun werden die Grünen das Bundesverkehrsministerium nicht bekommen. Das halte ich mittlerweile eigentlich für gar nicht mal so schlimm, denn insgesamt bringt uns der Koalitionsvertrag gar nicht mal so weit nach vorne hinsichtlich Klima- und Umweltschutz, da kommt es auf das Bundesverkehrsministerium auch nicht mehr an. Aber man stelle sich vor, Toni Hofreiter müsste jetzt die Scherben aufkehren, die 16 Jahre CSU (und SPD) in der Invalidenstraße hinterlassen haben. Man kann es dort nur falsch machen — man kann jetzt 14.000.605 verschiedene Szenarien berechnen und in keinem steht ein Bundesverkehrsminister nach vier Jahren unbeschadet in den Trümmern, die ihm seine Vorgänger aufgetürmt haben. Wozu also die Hand nach der heißen Herdplatte ausstrecken?
Sollen sich die Freidemokraten doch daran gütlich tun als eigentliche Gewinner dieser Wahl. Das politische Talent der FDP ringt mir tatsächlich einiges an Respekt ab und wie Wissing die Grünen jetzt einfach mal mit einem Schlag daniedergestreckt hat, das ist schon beeindruckend.
Da halten jetzt also die Grünen ihre Urabstimmung über den Koalitionsvertrag ab, die großflächig von Frust über das verlorene Bundesverkehrsministerium getrieben wird. Und dann geht Wissing hin und sagt „Hier, I bims, der Anwalt der Autofahrer!“ Die Grünen sprangen über das Stöckchen, sie schäumten vor Wut, warben in den sozialen Netzwerken für eine Ablehnung des Koalitionsvertrages.
Also, mal im Ernst, besser kann es für die FDP doch überhaupt nicht laufen? Nicht nur dass der Koalitionsvertrag mit gelber Schrift auf rotem Grund geschrieben wurde, nein, hier lässt die FDP einfach mal den größeren Koalitionspartner mit einem Fingerschnipsen implodieren.
Wenn die Grünen jetzt in diese Regierung eintreten, werden sie sich von SPD und FDP zermahlen lassen und sich die Verantwortung für das gelbe Bundesautoministerium anrechnen lassen. Wenn die Grünen den Vertrag ablehnen, sind sie nach meinem Dafürhalten für lange Zeit weg vom Fenster.
Was soll denn passieren, wenn die Grünen den Vertrag ablehnen? Dass noch mal in freundlicher Runde nachverhandelt wird? Und dann das Außenministerium mit der Spitzenkandidatin aufgegeben und gegen das Verkehrsministerium getauscht wird? Schwierig. Vielleicht bildet sich auch einfach eine Deutschlandkoalition oder die GroKo versucht’s doch noch mal — oder es endet in Neuwahlen?
Ich glaube, Neuwahlen werden die Grünen waidwund schießen. In mindestens vier Bundesländern wird im nächsten Jahr gewählt und die bisherigen Prognosen darf man wohl vorsichtig als äußerst problematisch bezeichnen. In Schleswig-Holstein haben die Grünen einfach mal neun Prozentpunkte verloren und sind auf 18 Prozent gefallen. Im Bund sind die Umfragen bislang einigermaßen stabil, aber sich jetzt aus der Verantwortung zu stehlen wird der Wähler an der Urne sicherlich entsprechend quittieren. Ich gehe davon aus, dass die FDP an den Grünen locker vorbeiziehen könnte.
Eigentlich sehe ich nach wie vor nur eine Möglichkeit: Mit den so genannten Bauchschmerzen den Koalitionsvertrag annehmen und versuchen, das beste draus zu machen. Denn für die übergeordneten Ziele, für die die Grünen eigentlich stehen, läuft nunmal die Zeit ab und ich halte es für geboten, wenigstens das beste rauszuholen statt die 2017er Karte zu spielen: „Lieber nicht regieren als falsch regieren!“ Zumal ich den Eindruck habe, dass Wissing nicht ansatzweise so schlimm ist wie wir gerade befürchten.