Nicht, dass nicht jeder Vorfall, für sich betrachtet, eine Intervention verdiente, aber habt ihr euch da gegenseitig hochgeputscht oder fahrt ihr immer so?
Das mit dem Hochputschen versuche ich nach Möglichkeit zu vermeiden. Einerseits will ich kein Magengeschwür bekommen, andererseits endet sowas im Extremfall auf der Wache und darauf habe ich auch keine Lust. Aber just der Wiesendamm ist mit dem Rad nunmal nicht ordentlich zu befahren. Ich sah vor mir, wie ein anderer Radfahrer von einem Kraftfahrzeug bedrängt und beinahe gefährdet wurde und wollte natürlich vermeiden, dass mir ähnliches von einem ungleich breiteren Sprinter widerfährt. Natürlich gerät man als „normaler Radfahrer“ überhaupt nicht in solche Situationen, weil man lieber diesen komischen Sand-Radweg mit parkenden Kraftfahrzeugen auf der Südseite des Wiesendamms benutzt. Vermutlich ist die eigentlich beste Lösung, den Wiesendamm überhaupt nicht zu befahren — oder alternativ jedes Mal abzubremsen, abzusteigen und das Rad in die Door-Zone zu schieben, wenn jemand mit der Hupe einen Überholwunsch ankündigt. Ich weiß nicht, wie du es mit den Sicherheitsabständen hältst, aber ich lasse mich nicht überholen, wenn links und rechts zum nächsten Außenspiegel nur ein paar Zentimeter verbleiben.
Und findet ihr, dass die fortlaufende Dokumentation per Kamera/Photo das eigene Fahrverhalten bzw die eigene Wahrnehmung negativ beeinflusst, im Sinne von vorher war's auch nicht doll, aber man ist doch wesentlich entspannter geradelt?
Ich habe mir früher bei meiner mittelmäßigen Kilometerleistung relativ pünktlich alle acht Monate eine Strafanzeige abgeholt. Das war in der Bandbreite diverser Variationen eigentlich immer das gleiche: Kraftfahrer überholt mich, merkt währenddessen, dass die nächste Ampel rot zeigt / vorne ein Stoppschild steht / von rechts gerade ein vorfahrtberechtigtes Kraftfahrzeug naht, er bremst ab, zieht dabei nach rechts und „touchiert“ mich, wie es im Polizeibericht dann hieße. Dann geht’s ab zur Polizei, denn der Radfahrer hat aufs Dach gehauen / mit dem Lenker den Lack zerkratzt / den Kraftfahrer angegriffen, obwohl andere Zeugen bestätigen konnten, dass ich nicht einmal Kraftausdrücke gerufen habe.
Aus diesen ganzen Streitigkeiten habe ich zwei Konsequenzen gezogen: Ich steige trotzdem noch aufs Rad, aber nur mit Kamera. Aus Datenschutzsicht finde ich es arg bedenklich, wenn jeder mit einer Kamera umherkurvt, aber solange es Kraftfahrer gibt, die ihr Fahrzeug nicht mal ansatzweise im Griff haben und sich nicht um die Unversehrtheit anderer Verkehrsteilnehmer scheren, bleibt das Ding am Lenker. Im Fall des Falles muss ich nur ein paar Filmminuten zur Staatsanwaltschaft schicken und kann zeigen, hier, ich habe weder aufs Dach geschlagen noch den Lenker in die Beifahrertür gerammt noch überhaupt irgendjemanden angegriffen. Als im letzten Frühjahr ein Kraftfahrer erst eine Truppe Rennradfahrer und anschließend mich von der Straße schieben wollte, hat die Abwehr einer Strafanzeige trotz Rechtsschutzversicherung immerhin knapp eintausend Euro Anwaltskosten verursacht, weil ich just in diesem Moment keine Kamera dabei hatte. Da investiere ich lieber 250 Euro in eine ordentliche Kamera, denn ohne würde ich mich überhaupt nicht mehr auf solche Straßen wie den Wiesendamm oder die Hallerstraße trauen. Tatsächlich fahre ich ohne Kamera definitiv nicht entspannter, denn obwohl ich nun wirklich kein kampfradlerisches Verhalten im Straßenverkehr praktiziere, ziehe ich allein schon aufgrund meiner Geschwindigkeit und meiner Frechheit, nicht ständig jeden Radweg zu benutzen, den Ärger offenbar an.
Und außerdem genehmige ich mir großzügige Sicherheitsabstände. Wenn da ein Held wie der da oben im roten Auto ankommt und nicht weiß, dass in Engstellen auch Radfahrer Vorrang haben können, dann ist das natürlich Pech. Aber zum Beispiel dieses goldfarbene Fahrzeug war mir in dem Zeitpunkt vollkommen egal: Der hat mich zwar am Arm berührt, aber ich hatte so viel Platz nach rechts, dass ich das noch nicht als brandgefährliche Situation empfunden hätte. Wäre ich als „normaler Radfahrer“ unterwegs, also mit dem rechten Pedal am Kantstein kratzend, hätte sowas auch mit blutiger Nase auf dem Gehweg enden können. Und wenn dann jemand hinter mir ins Lenkrad beißt, weil er mich nicht überholen kann, dann ist das eben so. Soll er halt zu Hause beim Abendessen über diese ganzen Radfahrer schimpfen, die den Verkehr blockieren. Ich steige nunmal nicht aufs Rad, um den Kraftfahrern alles recht zu machen.