Da ist das übliche Beispiel Langenlouis. Man wollte dort den Verkehr sparen, also den Kraftverkehr. Es wurden Kampagnen gestartet nach dem Motte, einfach mal mit dem Rad oder zu Fuß zum Einkaufen, einfach mal dieses oder jenes. Es hat gewirkt. Der Radverkehrsanteil hat sich von 2 % auf 8 % gesteigert. mit genau keinem Radwegebau. Ein paar Abstellanlagen waren dabei.
Meinst du Langenlois in Österreich?
Falls ja: Der Ort hat gerade mal knapp über siebentausend Einwohner — ich behaupte mal, da ist Hamburg dann doch noch eine andere Hausnummer mit anderen Ansprüchen an das Verkehrsnetz.
Ich denke, hier kann man vom Ausland lernen. Man muss nicht alles selbst ausprobieren. Und in allen Ländern mit hohem Radverkehrsanteil gibt es eine anständige Infrastruktur für Fahrräder. Meines Wissens nach hat es kein einziges Land geschafft, gleichzeitig mit einem Rückbau der Radwege den Radverkehrsanteil zu fördern.Warum sollte es dann ausgerechnet in Deutschland über den Rückbau der Infrastruktur funktionieren? Politische Signale helfen vielleicht etwas. Einen echten Durchbruch erreicht man damit nicht.
Ich möchte eigentlich auch behaupten, dass Amsterdam oder Kopenhagen ohne die ganze separierte Infrastruktur einen sehr viel niedrigeren Radverkehrsanteil hätten.
In mehreren Videos, die so im Netz herumfliegen (ich habe aufgrund meiner langsamen UMTS-Verbindung momentan leider keines zur Hand), wird ja beschrieben, wie sich der Radverkehrsanteil entwickelt hat: Indem man ganz radikal einfach breite, separierte und ebene Radwege durch die Stadt gebaut hat — und mit der Infrastruktur kamen auch die entsprechenden Nutzer. Das ist eben wie beim Auto: Baut man die Fahrbahn noch breiter, kommen noch mehr Autos.
Hingegen tut sich London momentan ja ähnlich schwer: Auf den ganzen Videos aus London sind in der Regel auch eher sportliche, männliche Radfahrer jüngeren bis mittleren Alters zu sehen, viele davon mit reflektierender Kleidung und schnellen Rädern. Kinder, Frauen und Senioren sehe ich dort fast nie.
Aber ich weiß einfach nicht, wie man jetzt hier in Hamburg oder allgemein in Deutschland eine kritische Masse erzeugen sollte, ab der plötzlich der Mut zum Fahrbahnradeln da ist. Ich nehme mal als Beispiel die Stadt Wedel, die ja direkt im Hamburger Westen an der Stadtgrenze liegt. 30.000 Einwohner, überschaubares Stadtgebiet.
Wedel ist für einigermaßen geübte Radfahrer wie uns eigentlich ein Paradies: Man darf mit wenigen Ausnahmen überall auf der Fahrbahn fahren. Es gibt ein paar Radwege hier und dort, die aber nur in ebenjenen Ausnahmefällen benutzungspflichtig beschildert sind (und diese Ausnahmen sind dann auch wieder total bescheuert und sinnlos), und der Großteil dieser Radwege ist auch total vermurkst: Entweder seit Jahrzehnten nicht mehr saniert oder irgendwie so lala in beide Fahrtrichtungen freigegeben oder wie auch immer.
Nur: Außer mir und ein paar ADFC-Mitgliedern fahren dort nur noch die Rennradler auf der Fahrbahn, die für die Cyclassics im August trainieren. In den fünf Jahren, die ich dort studiert habe, sah ich äußerst selten einen Radfahrer auf der Fahrbahn. Stattdessen passiert dort an warmen Wochenenden etwas wunderliches: Es fallen Aberhunderte Radfahrer aus Hamburg ein, die unten an der Elbe entlangfahren, dann am Kraftwerk den Berg hochjuckeln müssen und anschließend den kompletten Weg zum Schulauer Fährhaus auf der falschen Straßenseite zurücklegen. Aberhunderte! Und von denen fahren vielleicht zehn Prozent auf der richtigen Seite.
Ich habe keine Idee, wie man solche Leute vom Fahrbahnradeln überzeugen sollte — denn gleichzeitig klingt’s an diesen warmen Wochenenden unten am Fährhaus wie am Jungfernstieg, wenn die dicken Motoren vor sich hin blubbern. Echt kein guter Zeitpunkt, um auf der Fahrbahn zu radeln, denn wer ein dickes Auto fährt, will in der Regel keinen Radling vor sich haben. Und bei solchen Radfahrern weiß ich auch nicht, wie man sie davon abhalten sollte, auf der falschen Straßenseite zu fahren, wenn das vorher in Blankenese stellenweise über mehrere Kilometer weit erlaubt war und auch in Wedel plötzlich Pfeile und Blauschilder das Radeln auf der linken Seite vorschreiben.
Ich glaube aber, dass man mit einer einheitlichen Infrastruktur solche Probleme wenigstens eindämmen könnte. Der momentane Stand, dass quasi nach jeder Kreuzung die Infrastruktur wechselt — Radweg erlaubt, Radweg vorgeschrieben, Gehweg erlaubt, Gehweg vorgeschrieben, alles noch mal auf der anderen Straßenseite, Fahrbahn erlaubt, Fahrbahn vorgeschrieben, Radfahrstreifen, Schutzstreifen — kapiert ja offenbar auch kein Mensch. Abschaffen den ganzen Mist und stattdessen eine einheitliche Streckenführung etablieren. Dann muss man noch ein bisschen Überzeugungsarbeit leisten, dass das Radfahren auf der falschen Seite eine schlechte Idee ist und dass Kraftfahrer beim Abbiegen nicht nur alle drei Tage, sondern jedes Mal mit Radfahrern rechnen müssen, die ganzen Sichthindernisse aus dem Weg räumen und schon wäre die Sache sehr viel einfacher. Kostet aber halt Geld und Mühe und Parkplätze — und insofern wird das wohl eher nicht passieren.
Ich stelle mir aber so langsam die Frage, was denn wohl eigentlich das Ziel ist?
- So viele Radfahrer wie möglich auf die Fahrbahn zu bringen? Ich gebe mal eine bewusst blöde Antwort: Einfach das Radfahren auf dem Radweg verbieten — wer sich dann noch auf den Sattel schwingt, muss zwangsläufig die Fahrbahn nutzen. Alle anderen Regelbrecher rigoros abkassieren.
- Einen möglichst hohen Radverkehrsanteil zu erreichen? Ich vermute, das wäre mit einem separierten Radwege-Netz einfacher, weil das die meisten Menschen anspricht.
- Das Radfahren möglichst sicher zu gestalten? Dann wäre eine Kombination aus separierten Radwegen an den Hauptverbindungsachsen und entschleunigten Wohngebieten sicherlich eine überlegenswerte Lösung.
Allein die Sache mit dem Fahrbahnradeln sehe ich mittlerweile so: Die Menschen wollen’s einfach nicht. Ganz egal, was Studien und Untersuchungen über die objektive Sicherheit sagen. Ganz egal, wie oft der ADFC noch „Ab auf die Straße“ proklamiert. Ganz egal, wie toll und komfortabel das Fahrbahnradeln ist, ich kenne Dutzende Menschen, die außerhalb von Tempo-30-Zonen niemals auf der Fahrbahn fahren werden. Auf dem Wiesendamm genauso wenig wie auf der Hoheluftchaussee, der Elbgaustraße oder der Reichsbahnstraße. Die werden’s einfach nicht machen.
Dann kann man sich entweder auf den Standpunkt zurückziehen, dass die alle keine Statistiken und Unfallberichte verstehen können oder ihnen die Infrastruktur anbieten, die sie so gerne möchten. Dann baut man eben an den Hauptverkehrsachsen einen Radweg hin — der möchte dann aber bitte deutlich breiter als der hanseatische Meter sein, dann kommt das ganze Geraffel an sichtverdeckenden Parkplätzen, Litfaßsäulen und nervigem Straßenbegleitgrün weg, dann wird der Kantstein zur Fahrbahn hin derart umgestaltet, dass ganz klar ist, wer hier Vorfahrt hat und wer in eine Einfahrt einfahren möchte und so weiter und so fort.
Das ist sicherlich nicht der Weisheit letzter Schluss, gerade in einer Automobilnation wie Deutschland, aber ich bin der Meinung, dass so etwas besser funktionieren wird als noch ein paar Jahrzehnte lang „Ab auf die Straße“ zu rufen.