@Blaue Sau: Ich muss leider kurzfristig absagen — mein Rad ist nach über einer Woche Standzeit nicht fahrtüchtig
Beiträge von Malte
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Bei der Sache mit den Unfällen fehlte noch ein Absatz, den ich der Fairness halber separat nachschieben möchte, nachdem schon zwei Forenteilnehmer den Daumen gehoben haben.
Mir ist nämlich natürlich auch klar, dass die Hamburger Radwege alles andere als sicher sind — dazu gibt es ja genügend Beiträge im Forum „Verhalten im Straßenverkehr“. Und dass ich auf meinem Weg in die Innenstadt auf anderthalb Kilometern gleich drei Kreuzungen habe, an denen ich sofort tot wäre, wenn ich meine Vorfahrt wahrnähme, spricht ja auch nicht gerade für die Sicherheit dieser Radwege.
Nur: Ob ich dort sterbe oder nicht, das kann ich zu einem Großteil selbst beeinflussen — indem ich nämlich langsamer fahre. Wenn ich weiß, dass ich an der Kreuzung zwischen Kieler Straße und Reichsbahnstraße übersehen werde, dann fahre ich dort eben langsamer oder halte an. Das ist natürlich ein Trauerspiel sondergleichen und ein Armutszeugnis für eine Stadt, die sich gerne mit dem Attribut „Fahrradstadt“ schmücken möchte, aber es sichert mein Weiterleben auf diesem Planeten. Wenn ich weiß, dass an dieser Stelle häufig Kraftfahrer mit Karacho auf den Radweg fahren, um dann auf ebenjenem Radweg einige Meter bis zu einem Parkplatz in der zweiten Reihe zurückzulegen, dann fahre ich eben langsamer. Dann düse ich dort eben nicht mit 30 Sachen entlang, sondern nur noch mit 15 Kilometern pro Stunde.
Ja! Es ist total bescheuert, in Hamburg auf einem Radweg zu fahren. Aber dem entgegen steht dieses ewige Gehetze auf der Fahrbahn, erst recht dann, wenn es nebenan einen Radweg gibt, der womöglich noch blau beschildert ist. Das ist mir noch viel stressiger — und es bereitet mir keine Freude mehr.
Und momentan steht mir die Scheiße bis zum Scheitel, so dass ich momentan jeden Tag wieder in die S-Bahn steige, weil ich einfach keine Lust auf diesen ewigen Mist habe.
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Es fällt mir aber schwer. Denn die Länder mit dem höchsten Radverkehrsanteil haben nunmal einfach die beste Infrastruktur. Fragt man die Verantwortlichen in Kopenhagen, wie es dazu kam, sind die Antworten eindeutig: "Wir haben Radwege gebaut und dadurch kam der Radverkehr". Ich sehen keinen Grund, daran zu zweifeln. Ganz im Gegenteil: Die vielen Gehwegradler zeigen, wie stark der Bedarf an einer Infrastruktur abseits der Fahrbahn ist.
Ich habe mich in den letzten drei Tagen bei Gelegenheit hingesetzt und tatsächlich eine endlos lange Liste mit Namen von Menschen erstellt, mit denen ich schon einmal Fahrrad gefahren bin. Dann habe ich alle Personen gestrichen, die aus dieser Hamburger Fahrradszene, dem Radverkehrsforum oder der Critical Mass stammen, die also ohnehin größtenteils auf der Fahrbahn unterwegs sind und die ich nicht zu diesen „normalsterblichen Radfahrern“ zähle.
Übrig blieben 67 Menschen, mit denen ich schon einmal Fahrrad gefahren bin und an deren Namen und Fahrverhalten ich mich so einigermaßen erinnern kann.
Lediglich ein einziger davon fährst regelmäßig auf der Fahrbahn. Das ist ein sehr guter Freund von mir, der ebenfalls durch dieses Critical-Mass-Ding sozialisiert wurde, aber den ich nicht gestrichen habe, weil er eigentlich eher so nebenbei dort reingerutscht ist und nicht der typische Critical-Mass-Teilnehmer ist. Er lässt sich aber auch nicht vom Gehupe vertreiben und ist demnach eher „einer von uns“.
Bei fünf anderen Menschen kann ich mir vorstellen, dass man mit ihnen auf der Fahrbahn könnte, weil sie nämlich im Besitz eines Rennrades und demnach dem Schnellfahren nicht so ganz abgeneigt sind. Ich verstehe das Fahren mit höherer Geschwindigkeit als Türöffner, um mit solchen Leuten dann auch auf der Fahrbahn zugange zu sein.
Meine persönliche Statistik sieht also so aus, dass 1,5 Prozent der Radfahrer auf der Fahrbahn fahren. Bei weiteren 7,5 Prozent sehe ich eine Möglichkeit, die Menschen dauerhaft auf die Fahrbahn zu bekommen.
Dann bleiben aber noch weitere 91 Prozent übrig, bei denen ich keine Ahnung habe, wie ich sie auch nur ansatzweise auf die Fahrbahn bekommen sollte.
Ich fange gleich mal mit dem Extrembeispiel an: Mein Großvater war 93 Jahre alt, als der Herr die Zeit gekommen sah, ihn zu sich zu holen. Großvater war aber fit bis ins hohe Alter, das Autofahren hatten wir ihm zwar abgewöhnt, aber mit dem Rad war er immer noch unterwegs. Weil er zwar fit, aber nicht mehr so richtig beweglich war, musste er regelmäßig absteigen, denn solche Experimente wie Schulterblick, linken Arm raushalten und links abbiegen machte die Muskulatur nicht mehr mit. In seinem Heimatort war er in der komfortablen Situation, dass sich die 1,5-Meter-Geh-und-Radwege mit
in beiden Richtungen befahren ließen, aber abseits der Hauptstraßen blieb er lieber auf dem Gehweg, weil sein Reaktionsvermögen nicht mehr das beste war. Nun könnte man zwar argumentieren, dass man gerade mit dem mangelnden Reaktionsvermögen vielleicht besser nicht dort fährt, wo jemand plötzlich den Rückwärtsgang einlegt und quer auf dem Gehweg vor der Grundstückseinfahrt steht, aber… 93 Jahre? Da habe ich erst gar nicht den Versuch unternommen, irgendwie mit ihm zu diskutieren. Er fühlte sich auf Rad- und Gehwegen sicher, gondelte da mit zehn bis zwölf Kilometern pro Stunde hin und war auf diese Weise mobil — ihn davon zu überzeugen, er solle doch lieber auf der Fahrbahn fahren, hätte wohl eher dafür gesorgt, dass er das Rad stehen lässt.
Eine Kommilitonin von mir ist 26 Jahre alt und fährt ebenfalls regelmäßig mit dem Rad — aber halt auch immer brav auf dem Radweg. In der Tempo-30-Zone klappt auch die Sache mit der Fahrbahnradelei, ansonsten wird auf dem Gehweg gekurbelt, wenn es keinen Radweg gibt. Gleichzeitig wird aber auch mal hin und wieder eine Ampel bei rot mitgenommen, wenn gerade kein Auto in der Nähe ist und wenn man eh bald links abbiegen möchte, ist auch Geisterradeln okay. Durch einen fiesen Trick habe ich es mal geschafft, mit ihr direktes Linksabbiegen über einen Linksabbiege-Fahrstreifen zu praktizieren — sie hätte mich ernsthaft am liebsten umgebracht. Auf dem Fahrstreifen zum Geradeausfahren standen drei Autos, hinter uns ein weiterer Wagen, aber sie empfand das als ausgesprochen super-gefährlich. Ich habe keinen Schimmer, wie ich sie auf die Fahrbahn bringen sollte.
Ein weiterer Kommilitone war 23 Jahre alt, als er sich von seinem Werkstudenten-Gehalt mal wieder ein stabiles Fahrrad angeschafft hatte. Damit wollte er täglich zur Uni und zurück fahren, fit bleiben und abnehmen und so, aber sein Problem war, dass er vorher das Radverkehrspolitik-Blog gelesen hatte und daher informiert war, wo man Fahrrad fährt und wo nicht. Sein Weg führte aber teilweise die B431 in Wedel entlang, die im markierten Bereich ohne Radverkehrsinfrastruktur auskommt — und man wird im Regelfall mindestens einmal pro Strecke gemaßregelt, wenn man dort Fahrbahnradeln praktiziert. Es ist eben ziemlich eng, geht nicht besonders schnell voran und alle anderen Radfahrer kampfradeln nebenan auf dem Gehweg, da wird der einzige Fahrbahnradler natürlich umso mehr als Störfaktor wahrgenommen. Jedenfalls hatte mein Kommilitone nach drei oder vier Tagen die Nase voll, bemängelte mir gegenüber die fehlende Infrastruktur und fuhr danach wieder mit dem Auto zur Uni. Ich habe ihn allerdings noch regelmäßig mit dem Rad herumfahren sehen, allerdings… eher auf Rad- und Gehwegen.
Mein Vater ist 65 Jahre alt und fährt seit der Pensionierung wieder regelmäßiger mit dem Rad herum. Er nutzt brav jeden Radweg, fährt aber prinzipiell eher nicht auf Gehwegen, weil er Gehwegradler wie die Pest hasst. Er käme allerdings nie auf die Idee, trotz Radweg auf der Fahrbahn zu fahren — zwar kennt er dank mir mittlerweile alle Untersuchungen bezüglich der Sicherheit von Radwegen, aber ihm ist seine Ruhe auf dem Rad sehr wichtig. Das kann ich auch verstehen: Wenn man oben in Rendsburg trotz Radweg mitten auf der Straße fährt, folgen sofortige Maßregelungen, selbst auf den ziemlich brisanten Strecken, die ohne blaues Schild auskommen. Da hat er keine Lust drauf, denn er will nicht schnell von A nach B kommen, sondern das Radfahren genießen — als Pensionär hat er ja Zeit.
Und so weiter und so fort. Bei all diesen Menschen fehlt mir jegliche Idee, wie ich sie vom Fahrbahnradeln begeistern sollte. Aber ich kann bei den meisten bereits am Fahrverhalten ablesen, dass sie wohl eher nicht für das Fahrbahnradeln zu überzeugen sind. Wenn man mit denen ins Gespräch kommt, ist die Fahrtrichtung auch sofort klar: Wenn es bessere Radwege gäbe, dann führen sie auch mehr Fahrrad. Aber sie wollen trotz aller noch so tollen objektiven Vorteile nicht auf der Fahrbahn radeln, weil es ihnen subjektiv unsicher erscheint, weil sie dort zwischen den Autos herumstehen und im Zweifelsfall gemaßregelt werden.
Ich sehe es ja an mir selbst: Wenn ich in die Verlegenheit kommen sollte, mit dem Rad zur S-Bahn zu fahren, dann nähme ich mittlerweile lieber die Elbgaustraße mit dem tollen 1,25-Meter-Hochsicherheitsradweg mit dem freigegebenen Gehweg zwischendurch. Einfach nur, weil ich dort im Gegensatz zur Fahrbahn niemandem im Nacken habe — dann fahre ich lieber halb so schnell, passe an jeder Kreuzung und Einmündung auf, ob ich womöglich übersehen werde, aber ich bin im Herrgottesnamen dankbar dafür, dass mir niemand am Hinterrad hängt und mich am liebsten totfahren möchte.
Oder mal eine Ebene höher betrachtet: Ich hatte im letzten Dreivierteljahr zwei Unfälle mit Gehirnerschütterung, einer in einer Tempo-30-Zone, in der mich ein Kraftfahrer erst beinahe überfahren hätte und mich anschließend verprügelte, der andere auf einem Radweg, wo ich mir mit einem anderen Kraftfahrer trotz Blickkontakt nicht im Klaren war, wer nun zuerst fährt. Dazu kommt aber noch eine unendlich lange Liste an Maßregelungen auf der Fahrbahn, beginnend mit Anhupen und guten Wünschen durchs Beifahrerfenster, endend mit Prellungen im Krankenhaus, weil jemand mich mit seinem Wagen abgedrängt hat, weil er irgendwo einen Radweg gesehen hat. Ich weiß nicht — wie soll ich mich denn verhalten, das so etwas nicht passiert? Und: Wie bringe ich es meiner Freundin bei? Ein drittes Mal steht sie diesen Anruf von der Polizei, dass ihr Freund halb unter dem Auto liegt und nicht mehr spricht, wahrscheinlich nicht durch.
Mir ist sehr wohl bekannt, dass eine Fahrbahn objektiv sicherer ist, aber ich kann langsam echt nicht mehr behaupten, dass ich gerne Fahrbahnradelei praktiziere. Mittlerweile meide ich sogar bestimmte Strecken ohne Radweg, weil es mir einfach zu stressig ist. Ich will momentan mit meinem Fahrrad von A nach B fahren, aber jedes Mal, wenn ich auf den Sattel steige, kämpfe ich in einem Krieg mit, den ich gar nicht kämpfen will. Mittlerweile wird es zu einem Politikum, das Fahrrad aus dem Keller zu holen, weil man sich damit gesellschaftlich positioniert.
Wie absurd das alles ist!
Ich will einfach nur entspannt ins Bureau fahren. Aber ausgerechnet dieses Radfahren, dass angeblich so einfach ist, dass es jedes Kind beherrscht, ist so kompliziert, dass man sich tausend Gedanken über irgendwelchen Kram machen muss.
Ich weiß auch nicht, ob nun Radwege oder Fahrbahnen nun der heilige Gral der Radverkehrsförderung sind. Und ich weiß, dass ich nicht wissenschaftlich beweisen kann, dass mehr Radwege zu mehr und besserem Radverkehr führen — aber wenn ich Kopenhagen, Amsterdam oder Groningen mit London, Berlin und Hamburg vergleiche und anschließend noch meine Erfahrungen aus Gesprächen mit anderen Radfahrern mit einfließen lasse, dann scheint es mir doch relativ eindeutig zu sein, dass eine gute, sichere, aber eben auch separierte Fahrradinfrastruktur zumindest nichts ist, was dem Radverkehr nachhaltig schadet.
Klar, wenn im Jahr 2050 nur noch halb so viele Verbrennungsmaschinen unterwegs sind und flächendeckend Tempo 30 gilt, dann mag auch die Fahrbahnradelei größere Akzeptanz erfahren. Nur: Was macht man bis dorthin?
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Zwei Kraftfahrer haben entweder festgestellt, dass man noch hintenrum über die Bushaltestelle in den Bereich einfahren kann oder aber sie wissen ganz genau, wie breit ihr Wagen und wie breit diese Durchfahrt ist.
Ich fahr da morgen früh noch mal vor und schau mir das an.
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Nein. Seit ich nicht mehr Kieler fahre und lieber matschig werden, brauch ich keine Kamera mehr am Lenker. Schon echt erstaunlich, was wenige dutzend Meter Unterschied ausmachen...Ich stecke sie am Freitag aber mal wieder an, vllt. gelingt dann das ersehnte Bild
Treffen wir uns um 8.15 Uhr am Neuen Pferdemarkt?
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Aber jetzt mal Nägel mit Köpfen:
Wer stellt sich mit mir an die Fuhle und verteilt Bananen?
An welche Stelle der Straße und welche Uhrzeit dachtest du so ungefähr?
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Dennoch ist es ganz interessant zu sehen, wie halt der „normale Verkehrsteilnehmer“ auf das übliche „trotz Radweg mitten auf der Straße“ reagiert. Dass sich da jemand freut, hurra, der Radling ist statt auf dem buckeligen Radweg auf der sicheren Fahrbahn unterwegs, dürfte ja eher die Ausnahme sein.
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facebook-Link: Liebe Rennradfahrer. Wenn ein Radweg vorhanden ist, ist dieser, zu verwenden.
Inklusive toller Ich-fahr-morgen-den-nächsten-Radfahrer-tot-Kommentare.
Also lieber wieder S-Bahn?
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Seite 14 ist meine Lieblingsseite:
Und dann noch das hier:
Willkommen in Deutschland, wo man aus Sicherheitsgründen absteigt und schiebt.
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Man könnte auf einer Karte schöne, aber unbekannte Routen und Plätze einzeichnen. Beispielsweise hatte @Blaue Sau ja schon mal eine Route von Eidelstedt bis zur Innenstadt konstruiert, die eine angenehme Alternative zur Kieler Straße zu sein scheint. Solche Routen findet man als täglicher Radling häufig eher durch Zufall — und düst so lange immer die Kieler Straße rauf und runter.
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Und @Hane , mit Verlaub, bist du schon einmal in Hamburg Rad gefahren?Ich denke schon, ja
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Bei Beiden machen Rechtsabbieger einen Fahrstreifenwechsel auf oder über den Radfahrstreifen; dabei einen Radfahrer zu übersehen ist sehr unwahrscheinlich.
Ist natürlich total geil, dass man sich in Hamburg dann darauf beruft, dass Radfahrstreifen Teil der Fahrbahn wären und insofern für den Radfahrer erst einmal § 10 StVO gilt, bevor er dem Kraftfahrer in die Quere kommen könnte.
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ist das nicht so die Argumentationslinie derer, die irgenwann keine Argumente gegen die scheiß Radfahrer haben?
"und am Ende steht auf deinem Grabstein 'ich hatte Vorfahrt'"
Da erschließt sich mir gerade nicht, warum ich denen noch Futter geben sollte. Mit einem Foto, das dann zum Meme wird und allenthalben bei solchen Diskussionen gepostet wird...Ich hatte die Sache mit dem Grabstein tatsächlich nicht weit genug ausgeführt. Meine Idee war eher, mit so einem affigen Grabstein aufzuzeigen, wie dämlich diese Aussage eigentlich ist und den Betrachter neugierig oder wütend genug machen, dass er womöglich die dahinter verlinkte Seite öffnet.
Denn tatsächlich ist der Spruch ja total affig: Dutzende, wenn nicht gar Hunderte Radfahrer verzichten täglich auf dieser Relation Eidelstedter Platz – Sportplatzring auf ihre Vorfahrt, aber dem einzigen Radfahrer, dem das nicht gelingt, wird man gleich wieder diesen Grabsteinspruch ans Herz legen.
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Da ist das übliche Beispiel Langenlouis. Man wollte dort den Verkehr sparen, also den Kraftverkehr. Es wurden Kampagnen gestartet nach dem Motte, einfach mal mit dem Rad oder zu Fuß zum Einkaufen, einfach mal dieses oder jenes. Es hat gewirkt. Der Radverkehrsanteil hat sich von 2 % auf 8 % gesteigert. mit genau keinem Radwegebau. Ein paar Abstellanlagen waren dabei.
Meinst du Langenlois in Österreich?Falls ja: Der Ort hat gerade mal knapp über siebentausend Einwohner — ich behaupte mal, da ist Hamburg dann doch noch eine andere Hausnummer mit anderen Ansprüchen an das Verkehrsnetz.
Ich denke, hier kann man vom Ausland lernen. Man muss nicht alles selbst ausprobieren. Und in allen Ländern mit hohem Radverkehrsanteil gibt es eine anständige Infrastruktur für Fahrräder. Meines Wissens nach hat es kein einziges Land geschafft, gleichzeitig mit einem Rückbau der Radwege den Radverkehrsanteil zu fördern.Warum sollte es dann ausgerechnet in Deutschland über den Rückbau der Infrastruktur funktionieren? Politische Signale helfen vielleicht etwas. Einen echten Durchbruch erreicht man damit nicht.
Ich möchte eigentlich auch behaupten, dass Amsterdam oder Kopenhagen ohne die ganze separierte Infrastruktur einen sehr viel niedrigeren Radverkehrsanteil hätten.In mehreren Videos, die so im Netz herumfliegen (ich habe aufgrund meiner langsamen UMTS-Verbindung momentan leider keines zur Hand), wird ja beschrieben, wie sich der Radverkehrsanteil entwickelt hat: Indem man ganz radikal einfach breite, separierte und ebene Radwege durch die Stadt gebaut hat — und mit der Infrastruktur kamen auch die entsprechenden Nutzer. Das ist eben wie beim Auto: Baut man die Fahrbahn noch breiter, kommen noch mehr Autos.
Hingegen tut sich London momentan ja ähnlich schwer: Auf den ganzen Videos aus London sind in der Regel auch eher sportliche, männliche Radfahrer jüngeren bis mittleren Alters zu sehen, viele davon mit reflektierender Kleidung und schnellen Rädern. Kinder, Frauen und Senioren sehe ich dort fast nie.
Aber ich weiß einfach nicht, wie man jetzt hier in Hamburg oder allgemein in Deutschland eine kritische Masse erzeugen sollte, ab der plötzlich der Mut zum Fahrbahnradeln da ist. Ich nehme mal als Beispiel die Stadt Wedel, die ja direkt im Hamburger Westen an der Stadtgrenze liegt. 30.000 Einwohner, überschaubares Stadtgebiet.
Wedel ist für einigermaßen geübte Radfahrer wie uns eigentlich ein Paradies: Man darf mit wenigen Ausnahmen überall auf der Fahrbahn fahren. Es gibt ein paar Radwege hier und dort, die aber nur in ebenjenen Ausnahmefällen benutzungspflichtig beschildert sind (und diese Ausnahmen sind dann auch wieder total bescheuert und sinnlos), und der Großteil dieser Radwege ist auch total vermurkst: Entweder seit Jahrzehnten nicht mehr saniert oder irgendwie so lala in beide Fahrtrichtungen freigegeben oder wie auch immer.
Nur: Außer mir und ein paar ADFC-Mitgliedern fahren dort nur noch die Rennradler auf der Fahrbahn, die für die Cyclassics im August trainieren. In den fünf Jahren, die ich dort studiert habe, sah ich äußerst selten einen Radfahrer auf der Fahrbahn. Stattdessen passiert dort an warmen Wochenenden etwas wunderliches: Es fallen Aberhunderte Radfahrer aus Hamburg ein, die unten an der Elbe entlangfahren, dann am Kraftwerk den Berg hochjuckeln müssen und anschließend den kompletten Weg zum Schulauer Fährhaus auf der falschen Straßenseite zurücklegen. Aberhunderte! Und von denen fahren vielleicht zehn Prozent auf der richtigen Seite.
Ich habe keine Idee, wie man solche Leute vom Fahrbahnradeln überzeugen sollte — denn gleichzeitig klingt’s an diesen warmen Wochenenden unten am Fährhaus wie am Jungfernstieg, wenn die dicken Motoren vor sich hin blubbern. Echt kein guter Zeitpunkt, um auf der Fahrbahn zu radeln, denn wer ein dickes Auto fährt, will in der Regel keinen Radling vor sich haben. Und bei solchen Radfahrern weiß ich auch nicht, wie man sie davon abhalten sollte, auf der falschen Straßenseite zu fahren, wenn das vorher in Blankenese stellenweise über mehrere Kilometer weit erlaubt war und auch in Wedel plötzlich Pfeile und Blauschilder das Radeln auf der linken Seite vorschreiben.
Ich glaube aber, dass man mit einer einheitlichen Infrastruktur solche Probleme wenigstens eindämmen könnte. Der momentane Stand, dass quasi nach jeder Kreuzung die Infrastruktur wechselt — Radweg erlaubt, Radweg vorgeschrieben, Gehweg erlaubt, Gehweg vorgeschrieben, alles noch mal auf der anderen Straßenseite, Fahrbahn erlaubt, Fahrbahn vorgeschrieben, Radfahrstreifen, Schutzstreifen — kapiert ja offenbar auch kein Mensch. Abschaffen den ganzen Mist und stattdessen eine einheitliche Streckenführung etablieren. Dann muss man noch ein bisschen Überzeugungsarbeit leisten, dass das Radfahren auf der falschen Seite eine schlechte Idee ist und dass Kraftfahrer beim Abbiegen nicht nur alle drei Tage, sondern jedes Mal mit Radfahrern rechnen müssen, die ganzen Sichthindernisse aus dem Weg räumen und schon wäre die Sache sehr viel einfacher. Kostet aber halt Geld und Mühe und Parkplätze — und insofern wird das wohl eher nicht passieren.
Ich stelle mir aber so langsam die Frage, was denn wohl eigentlich das Ziel ist?
- So viele Radfahrer wie möglich auf die Fahrbahn zu bringen? Ich gebe mal eine bewusst blöde Antwort: Einfach das Radfahren auf dem Radweg verbieten — wer sich dann noch auf den Sattel schwingt, muss zwangsläufig die Fahrbahn nutzen. Alle anderen Regelbrecher rigoros abkassieren.
- Einen möglichst hohen Radverkehrsanteil zu erreichen? Ich vermute, das wäre mit einem separierten Radwege-Netz einfacher, weil das die meisten Menschen anspricht.
- Das Radfahren möglichst sicher zu gestalten? Dann wäre eine Kombination aus separierten Radwegen an den Hauptverbindungsachsen und entschleunigten Wohngebieten sicherlich eine überlegenswerte Lösung.
Allein die Sache mit dem Fahrbahnradeln sehe ich mittlerweile so: Die Menschen wollen’s einfach nicht. Ganz egal, was Studien und Untersuchungen über die objektive Sicherheit sagen. Ganz egal, wie oft der ADFC noch „Ab auf die Straße“ proklamiert. Ganz egal, wie toll und komfortabel das Fahrbahnradeln ist, ich kenne Dutzende Menschen, die außerhalb von Tempo-30-Zonen niemals auf der Fahrbahn fahren werden. Auf dem Wiesendamm genauso wenig wie auf der Hoheluftchaussee, der Elbgaustraße oder der Reichsbahnstraße. Die werden’s einfach nicht machen.
Dann kann man sich entweder auf den Standpunkt zurückziehen, dass die alle keine Statistiken und Unfallberichte verstehen können oder ihnen die Infrastruktur anbieten, die sie so gerne möchten. Dann baut man eben an den Hauptverkehrsachsen einen Radweg hin — der möchte dann aber bitte deutlich breiter als der hanseatische Meter sein, dann kommt das ganze Geraffel an sichtverdeckenden Parkplätzen, Litfaßsäulen und nervigem Straßenbegleitgrün weg, dann wird der Kantstein zur Fahrbahn hin derart umgestaltet, dass ganz klar ist, wer hier Vorfahrt hat und wer in eine Einfahrt einfahren möchte und so weiter und so fort.
Das ist sicherlich nicht der Weisheit letzter Schluss, gerade in einer Automobilnation wie Deutschland, aber ich bin der Meinung, dass so etwas besser funktionieren wird als noch ein paar Jahrzehnte lang „Ab auf die Straße“ zu rufen.
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dann lass eben einfach so die Cam mitlaufen und bastel einen Film draus. StVB + Bezirksversammlung. Reaktionen abwarten.
Schauen die sich sowas tatsächlich auch „einfach so“ an?
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Oh, also steigst du an den dir bekannten Gefahrenstellen ab und schiebst?
Ich nicht. Nur, weil 1x die Woche an einer Stelle "übersehen" werde, soll ich in Zukunft was genau machen? nur 10km/h fahren? Prophylaktisch anhalten und alle durchwinken?An einigen meiner Lieblingsstellen hat man ja nicht so die Wahl. Wenn man dort eben nicht mit zehn Kilometern pro Stunde fährt und prophylaktisch anhält, ist man eben nach einer Woche tot oder wenigstens im Krankenhaus.
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Nichtsdestotrotz könnte man natürlich herausfinden, wer beim LSBG Hamburg für die Planung dort zuständig ist.Und dann mal fragen, ob man sich die Sache mal ansehen kann. Und wenn nicht, gibt’s halt Alarm — und zwar nicht nur hier im Forum oder bei den facebook-Alltagsradlern, sondern mal ein bisschen globaler. Wenn’s dann noch immer nicht klappt, haben wir es wenigstens versucht.
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Zum Einen gehst Du davon aus, dass Radwege irgendwie doch sicherer sind als die Fahrbahn. Diesem Trugschluss bin ich auch lange erlegen, weil es sich halt sicherer anfühlt. Das liegt daran, dass man Gefahren, auf die man einen Einfluss zu haben glaubt, eher unterschätzt, und Gefahren, denen man sich hilflos ausgesetzt führt, überschätzt. Das ist auf Radwegen und Fahrbahnen der Fall. Auf Radwegen muss ich nur gut genug aufpassen (und die Autos sind auch weit weg), um sicher zu sein, auf Fahrbahnen kann ich nur hoffen, dass die Kraftfahrer mich sehen (und die sind auch noch ganz dicht dran). Am Ende das Tages ist es jedoch genau umgekehrt. Es fühlt sich nur nicht so an.
Ich beschäftige mich nun nicht erst seit Gestern mit dem Thema, und mir konnte noch niemand einen Ansatz präsentieren, der mir den Glauben an den sicheren Radweg wiedergben konnte. Man muss sich auch vor Augen führen, dass der überhaupt mögliche Sicherheitsgewinn durch Radweg minimal ist. Der Unfalltyp läuft eben und ferner liefen. Andere, häufigere Unfalltypen werden jedoch wahrscheinlicher.
Ich kenne die Problematik mit den Radwegen — wir haben ja unter anderem drüben im Verkehrsportal schon mal darüber gesprochen.Nur denke ich mittlerweile, dass eben recht viele Radfahrer trotz aller wissenschaftlichen Untersuchungen und objektiver Vorteile eben doch auf dem Radweg bleiben wollen — aus welchen Gründen auch immer. 98 Prozent sollen das ja angeblich sein. Ich weiß nicht, wie man den Anteil an Fahrbahnradlern noch erhöhen soll, beziehungsweise welche Werte da überhaupt möglich sind.
Ganz aus dem Bauch heraus geschätzt vermute ich, dass man in Hamburg mit viel Überzeugungsarbeit vielleicht fünf Prozent der Radlinge auf die Fahrbahn bekommen könnte. Aber ab wann ist der Anteil an Fahrbahnradlern so groß, dass es zum Selbstläufer wird und andere Radfahrer mit auf die Fahrbahn zieht? Bei 30 Prozent? Bei 50 Prozent? Ich wüsste jetzt nicht, wie man allein aus Überzeugungsarbeit eine solche Menge an Radfahrern auf die Fahrbahn konditionieren sollte.
Und selbst dann funktionieren meine Überlegungen nur in solchen Gegenden wie dem Schanzenviertel oder irgendwelchen Wohngebieten. Ich behaupte mal, die Zahl der täglichen Fahrbahnradler auf der Kieler Straße lässt sich an zwei Fingern abzählen. Darum halte ich es für sinnvoll, für die übrigen 98 Prozent eine brauchbare Infrastruktur vorzuhalten.
Ist ja total witzlos, die Radwege zu sanieren, wenn man beispielsweise an der Reichsbahnstraße die Radfahrer hinter dem Bus und dem Bushaltestellenhäuschen versteckt. Und es ist ja total super, dass man unten am Kronsaalweg mit dem Rad drei Sekunden vor dem Kraftverkehr losfahren darf: Die Radfahrer, die dort bei rotem Licht warten müssen, stehen eh im Sichtbereich der Kraftfahrer, alle anderen kommen aber während der Grünphase an und werden dann „übersehen“ und dank der tollen Ampelphase am Gewerbehof Wördemannsweg kommt man ja in der Regel bei einer Grünphase dort an, egal mit welcher Geschwindigkeit man radelt.
Das sind ja alles Dinge, die man mal in Angriff nehmen kann. Genauso wie diverse Litfaßsäulen oder Parkplätze, die die Sicht versperren, oder total affige Verschwenkungen von Radwegen. Dann wäre Radfahren auf dem Radweg zwar noch nicht sicher, aber immerhin etwas sicherer. Und wer dann gerne aus welchen Gründen auch immer auf dem Radweg fahren möchte, kann das dann ja immerhin ein wenig entspannter tun.
Nebenbei: Die beiden größten Unfallschwerpunkte im Polizeirevier 27 sind Holsteiner-Hörgensweg und Holsteiner-Baumarktausfahrt. Kieler-Reichsbahnstraße wurde in dem Zusammenhang aber auch genannt.
Ist ja schon ziemlich peinlich, dass trotz neu gestalteter Straßenaufteilung gleich zwei Unfallschwerpunkte nebeneinander liegen. Auch das sind Sachen, die man mal überprüfen müsste.Zum Rest schreibe ich nachher noch was, mir fehlt gerade etwas die Zeit.
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Das plant der ADFC-Hamburg auch, bzw. ist bei der Umsetzung.
Die haben aber die offiziellen Daten der Polizei Hamburg der vergangenen Jahre erhalten - verlassen sich da dann nicht auf "hören-sagen".Oh, das klingt ja schon mal prima. Gibt’s die Daten auch in maschinenlesbarer Form oder wird das manuell gepflegt werden?