Bei dem ganzen Gemaule über die Fahrradmitnahme in der Bahn darf man nicht vergessen: Als Radfahrer tut man sich den Kram ja einigermaßen freiwillig an. Ich könnte meine Fahrt auch ohne Fahrrad antreten, wäre dann am Ziel vielleicht nicht wie gewohnt mobil, aber ich käme schon irgendwie zurecht.
Heute wurde mir dann wieder einmal deutlich, dass man als Rollstuhlfahrer diesen Komfort nicht hat.
Los ging’s unten an der Stadthausbrücke, wo ein Rollstuhlfahrer recht hilflos vor dem defekten Aufzug stand. Offenbar konnte er auch nicht besonders gut sehen, jedenfalls war ihm die Lampe, die den Defekt signalisierte, nicht aufgefallen. Er war Tourist, wollte zum Michel, hing aber nun im Tiefbahnhof fest.
Nun kann man dem HVV vieles vorwerfen, aber er hat eine für meine Begriffe sehr genaue Anzeige, welche Aufzüge gerade in Betrieb sind:
Dort wird sogar aufgelistet, ob die Tasten in tastbarer Blindschrift dargestellt sind — das macht auf mich als Sehenden durchaus Eindruck, ob das den Ansprüchen eines Blinden genügt vermag ich natürlich nicht zu beurteilen. Jedenfalls war der Aufzug an der Stadthausbrücke — Überraschung! — als defekt gekennzeichnet, während der an den Landungsbrücken funktionieren sollte.
Ich wusste bis dahin noch gar nicht, dass die Landungsbrücken mittlerweile mit einem Aufzug ausgestattet war, aber wenn die App das sagt, dann wird das wohl stimmen. „Just take the next train in this direction“, flötete ich in meinem schönsten Englisch, bis mir auffiel, dass der Mann anschließend gefühlte fünfhundert Meter den Berg hochrollen müsste. Das war sicherlich nicht in seinem Sinne.
Und nun? Zurück zum Jungfernstieg und von dort zurück zum Michel rollen dürfte ungefähr genauso anstrengend sein… äääh, ach, am Jungfernstieg ist nur die U2 per Aufzug erreichbar, aber nicht die S-Bahn? Meine Fresse. Zurück zum Hauptbahnhof und von dort rollen? Nee, bestimmt nicht. Aber am Hauptbahnhof könnte er in die U3 umsteigen und bis St. Pauli fahren. Das ganze Hin und Her nähme etwa anderthalb Stunden in Anspruch, aber dann wäre er am Michel, der hat übrigens einen Aufzug und zwar schon ziemlich lange.
Die Rettung kam dann in Gestalt zweier kräftiger Männer, die anboten, ihn die Rolltreppe hochzukarren und oben die letzten beiden Treppen von der Verteilerebene zur Straße zu tragen. Puh, gerade noch gutgegangen. Im Ernst: Sonst hätte ich ihn von den Landungsbrücken bis zum Michel den Hügel hochgeschoben. So viel Nächstenliebe muss sein.
So. Einige Stunden später stand ich mit meinem Rad am Gleis 6 im Hauptbahnhof und wartete auf den RE 70 nach Kiel. Zuvor bummelte da aber die RB 81 nach Bargteheide herum und ein weiterer Rollstuhlfahrer sprach mich an, ob ich für ihn die „Hilfe-Taste“ am Zug drücken könnte. Bei den Doppelstockwagen gibt’s vorne im Steuerwagen ausfahrbare Rampen neben dem Mehrzweckabteil und mit Drucktastern neben der Tür kann man sich Hilfe anfordern, damit jemand diese Rampe bedient. Dumm nur, dass zwischen Wagen und Bahnsteig ein recht breiter Spalt war und der Rollstuhlfahrer nicht an die Taste kam.
Kein Problem, das mache ich für ihn und damit nahm das Drama seinen Lauf: In Bargteheide hält die RB 81 am Gleis 1 (oder nicht am Gleis 1?), dort stünde die Rampe aufgrund des niedrigen Bahnsteiges so steil, dass sie aufgrund der Unfallgefahr nicht eingesetzt werden darf. Ihm wurde dann vom Zugbegleiter der Plan unterbreitet, mit dem RE 80 nach Bad Oldesloe zu fahren und von dort zurück nach Bargteheide. Allein dieser Umweg ist schon eine Zumutung, aber: Der RE 80 hält am Bahnsteig, an dem der Aufzug laut der HVV-Anzeige defekt ist. Ging also nicht. Tja, und nun? Es wurde sondiert, welcher Zug denn als nächstes in Bargteheide nicht am Gleis 1 hält oder in Hamburg nicht am Bahnsteig 7 abfährt, aber so richtig kam da nichts zustande. Wenn ich das richtig mitbekommen habe, nahm der arme Mann dann ein Taxi.
So. RE 70. Die Rampe war… defekt:

Und draußen wartete ein Rollstuhlfahrer, der gerne von Hamburg nach Kiel fahren wollte. Der Plan war, dass der Rollstuhlfahrer mit der S-Bahn bis zum Bahnhof Dammtor fährt, dort den Bahnsteig wechselt und nach somit insgesamt vier Fahrten mit dem Aufzug an zwei verschiedenen Bahnhöfen dann über die andere Seite des Zuges ins Mehrzweckabteil rollt. Im Bahnhof Dammtor gibt es einen Mittelbahnsteig, da hält die Bahn an der rechten Seite, da passt das wieder. Das war allerdings in der verbleibenden Viertelstunde nicht mehr zu schaffen. Immerhin waren dort die Aufzüge in Betrieb, das hatte ich mittlerweile in Erfahrung gebracht.
Dass wir den Mann einfach so über die Lücke zwischen Wagen und Bahnsteig in den Zug hievten kam aber aus Versicherungsgründen nicht in Frage. Ich kann zwar die Begründung mit der Versicherung nachvollziehen — am Ende kippt der Rollstuhl um, der Mann wird schwer verletzt und niemand will’s bezahlen —, aber dass man keinen Rollstuhl über eine Lücke von vielleicht dreißig Zentimetern heben dürfe, das wollte mir nicht in den Kopf.
Dann wurde die S3-Zentrale angerufen, damit jemand käme und diesen Hubwagen zur Verladung von Rollstühlen bringe. Das geht aber auch im Jahre 2017 nicht binnen einer Viertelstunde, also machte sich der Zugführer bereit, schon mal eine verspätete Abfahrt zu melden, die dann aufgrund des straffen Fahrplanes für Folgeverspätungen sorgen würde. Dann fiel ihm ein: Halten wir in Kiel denn eigentlich an der richtigen Seite?
Die Leute mit dem Hubwagen waren hingegen schon am Bahnsteig 7 gut beschäftigt, denn da waren offenbar mehrere mobilitätseingeschränkte Fahrgäste ausgestiegen, die nun irgendwie vom Bahnsteig hin die Wandelhalle gebracht werden mussten.
Der Rollstuhlfahrer am RE 70 saß dann doch plötzlich im Mehrzweckabteil. Da ist drei Mitmenschen mit Muskeln im Arm endgültig der Kragen geplatzt, so dass die Sache auf dem kurzen Dienstweg geregelt wurde.
Dagegen sind die ganzen Probleme, die ich mit meinem Fahrrad in der Bahn habe, ungefähr gar nichts. Vielleicht sollte ich das hin und wieder mal bedenken.