Eines meiner größten charakterlichen Schwächen ist vermutlich das Bedürfnis, unbedingt den Helden spielen zu müssen. Wenn ich auf eine Situation treffe, in der irgendwie Not am Mann ist, dann greife ich ein, da kenne ich kein Wenn und Aber. Und das bringt mich meistens in Schwierigkeiten.
Vor allem: Es geht bei mir nie ohne Drama. Nie.
Heute Abend wollte ich eigentlich nur rüber zum Einkaufen und mir für den letzten Arbeitstag vor dem Urlaub eine prächtige, vor Fett nur so triefende Tiefkühlpizza gönnen. Ich wohne nicht weit vom Eidelstedt-Center entfernt, ich hörte bereits in meiner Wohnung wütendes Gehupe und wunderte mich, was denn nun wohl wieder los war, machte mir aber keine weiteren Gedanken und marschierte die 300 Meter rüber zum REWE. Am Eidelstedt-Center bot sich dann folgender Anblick:
Die beiden Torflügel hatten sich ob des Sturmes offenbar selbstständig gemacht und genossen ihre neue Freiheit, indem sie fröhlich auf und zu schlugen und dabei in das Lichtraumprofil der Fahrbahn eindrungen. Das verursachte auch das dazugehörige Gehupe: Abbiegende Kraftfahrer blieben angesichts der Hindernisse stehen und kassierten dafür die Hupe des Hintermannes. Ich dachte mir nichts dabei, bis einer der Kraftfahrer um die Kurve kam und gerade noch im letzten Moment dem hier im Bild rechten Türflügel ausweichen konnte, weil dort auf dem Fahrstreifen zum Linksabbiegen weitere Kraftfahrzeuge standen. Als nächstes war ein Metrobus der Linie 21 an der Reihe, der ebenfalls nur mit einer ordentlichen Bremsung einer Ohrfeige des linken Torflügels ausweichen konnte.
Und das war dann wieder der Moment, an dem ich das Superheldenkostüm anzog und der Meinung war, hier unbedingt eingreifen zu müssen.
Den einen Torflügel arretierte ich mit einem Standfuß, den ich dort aufgetrieben hatte, wobei sich der Torflügel nicht so richtig beeindruckt zeigte und Anstalten machte, sich wieder loszureißen. Es dauerte nicht einmal zehn Sekunden, dann war mir klar, warum ich die Fußplatte dort gefunden hatte, wo ich sie gefunden hatte, denn der Wind drückte mit einer Kraft gegen den hölzernen Torflügel, die den Standfuß locker beiseite schob. Ich stellte beim zweiten Versuch den Torflügel senkrecht zum Wind, unterband damit jegliche Angriffsfläche und hatte erst einmal Ruhe vor diesem Monstrum.
Für den anderen Torflügel fand ich keine passende Fußplatte, stattdessen drückte der Sturm, wo auch immer er direkt im Windschatten des Eidelstedt-Centers einen Angriffsvektor fand, die danebenliegende Wand mitsamt der Toiletten in Richtung Fahrbahn.
Ich wusste mir in diesem Moment schlichtweg nicht anders zu helfen als die 110 zu wählen. Hier sollte bitteschön die Hamburger Polizei einmal anrücken, mit Blaulicht ganz kurz den Kreuzungsbereich sperren, so dass wir für einen Moment Ruhe vor den abbiegenden Kraftfahrzeugen hätten, und dann überlegen wir uns ganz in Ruhe, wie wir die Türen arretierten. Gesagt, getan, ich wählte die 110 und lieferte dem Beamten am Telefon ein bemerkenswertes Schauspiel, weil ich zwischendurch beinahe mein Handy verlor, als ein Windstoß den Torflügel erfasste.
Naja. Man wolle sich drum kümmern.
Es sollte eine knappe halbe Stunde dauern, bis ein Streifenwagen mit zwei Beamtinnen eintraf. Während dieser halben Stunde fror ich mir sämtliche Extremitäten ab, während ich mit Müh und Not diese blöde Tür festhielt…
… damit sie möglichst keine Kraftfahrzeuge unter sich begraben möge:
Das Problem war tatsächlich, dass es gar keine Gelegenheit gab, das Tor vernünftig zu schließen. Ich rechnete mir bei diesen Windverhältnissen einen Zeitaufwand von mindestens 15 Sekunden dafür aus und diese 15 Sekunden gab es einfach nicht, weil andauernd jemand um die Ecke kam.
Und glaubt ja nicht, dass mal jemand anhält und hilft. Nö. Zwei Mal wurde ich angehupt, als sich die Tür losgerissen hatte, beziehungsweise meinen rechten Fuß eingequetscht hatte und einen Teil der Fahrbahn blockierte. Die einzige Rückmeldung der vorbeifahrenden Kraftfahrer war ein ganz toller Witzbold, der wohl irgendeinen Prostituierten-Witz machen wollte und mich nach meinem Preis fragte, während er mich mit dem Handy filmte. Und Handyfotos waren auch das einzige, was sich dort drüben aus dem gegenüberliegenden Haus an Hilfestellungen bot:
Eigentlich wäre genau das jetzt der Zeitpunkt gewesen, diese blöde Tür in Ruhe zu lassen und zum Einkaufen zu gehen. Sollen die lieben Kraftfahrer doch sehen, wie sie mit dem Ding klarkommen. Wenn da jemand um die Kurve kommt und das Ding vor die Stoßstange bekommt: Pech gehabt. Sichtfahrgebot und so, nä? Ist doch nicht mein Problem. Soll halt jemand bei dieser Scheiße draufgehen, dann könnten wir ja endlich mal eine ordentliche Diskussion darüber führen, ob man Arbeitsstellen ordentlich absichert oder nicht, denn ich bin diesen ganzen Quatsch echt satt.
So ging das dann eine Weile, bis gegen 20.45 Uhr besagter Funkstreifenwagen eintraf. Die beiden Damen hielten sich nicht lange mit Höflichkeiten auf, zauberten eine weitere Fußplatte herbei und arretierten den zweiten Torflügel.
So einfach kann’s gehen, wenn man nur zu zweit ist. Das war für mich natürlich ein total toller Moment, denn natürlich war es in diesem Moment windstill, so dass die Dramatik der vorigen zwanzig Minuten ein bisschen an Geltung verlor, außerdem kam jetzt eine gefühlte Ewigkeit niemand um die Kurve gebrettert, so dass sie Beamtinnen auch nicht so recht verstanden, was denn nun eigentlich das Problem war. So blieb es bei einer recht kühlen Begegnung und einem „Danke!“, dann stiegen die beiden wieder ein und fuhren weiter.
Ich hätte mich gern noch gerechtfertigt, warum ich es für notwendig hielt, hier den Notruf zu wählen, und warum ich die Sache nicht selbst in den Griff bekommen hatte. Und ja, ich hätte auch gerne erläutert, dass ich mir insgesamt eine gute halbe Stunde lang die Pfoten abgefroren hatte, anstatt im warmen Wohnzimmer zu hocken, einzig und allein um einen mehr oder weniger schweren Verkehrsunfall zu verhindern. Aber okay, so ist das halt, so zollt mir dann nur der blaue Fleck am rechten Fußknöchel Respekt.
Naja, gut, was habe ich erwartet? Das Bundesverdienstkreuz? Eine Erwähnung im Polizeibericht als Beispiel für selbstlosen Einsatz? Wollen wir mal ehrlich sein: Ich habe die Polizei nur genervt. Hätte ich nicht den Notruf gewählt, dann wäre halt früher oder später jemand gegen dieses Tor geknallt oder es wäre überhaupt gar nichts passiert und die Welt hätte sich auch ohne meinen Einsatz weitergedreht. Nur weil ich der Meinung bin, ich müsste jetzt hier unbedingt einen Unfall verhindern, der sich ohne meinen Einsatz ohnehin nicht zugetragen hätte, naja, nur darum muss die Polizei ja nicht gleich meiner Meinung sein. Allerdings hätte ich es auch nicht verkehrt gefunden, wenn sich mal jemand die Mühe machte, den hier Verantwortlichen ein Bußgeld für die unsaubere Absicherung der Arbeitsstelle aufzudrücken. Dass es stürmisch würde, das war ja seit Tagen bekannt, da kann man sich mit der Verriegelung der Türen durchaus mal Mühe geben, gerade im Bereich der Fahrbahn.
Ich marschierte dann tatsächlich etwas konstatiert weiter zum Einkaufen.
Und ich wäre nicht Malte Hübner, wenn ich mir nicht noch eine schallende Ohrfeige eingefangen hätte. Als ich droben am Ende des gemeinsamen Fuß- und Radweges, der weiter oben hinreichend bebildert wurde, um die Ecke bog, bekam ich quasi die komplette Breitseite eines hölzernen Torflügels in die Fresse. Dort hatte sich nämlich ebenfalls die Zufahrt zur Arbeitsstelle selbstständig gemacht und wackelte fröhlich im Wind hin und her. Und es muss wohl irgendwie dieses Schicksal sein, über das ich häufiger klage, wenn ausgerechnet in jenem Moment, in dem ich etwas unachtsam um die Ecke latsche, der Torflügel mit Karacho in meine Richtung fliegt:
Ich habe echt die Schnauze voll von diesem Abend.
Gerade noch kurz vor Ladenschluss will ich bei REWE meine Pizza bezahlen und merke, dass die rechte Hand etwas schmerzt, aber das ist wohl der Preis für diesen unnötigen, aber selbstlosen Einsatz. Tjaja.
Und nun wäre ich nicht Malte Hübner, wenn das Schicksal nicht noch eine Überraschung für mich vorgehalten hätte.
Ich werde nämlich von der Polizei gesucht.
„Der da“, ruft jemand, als ich wieder nach Hause watschle, und es nähern sich zwei Polizeibeamte mit einer Dame im Schlepptau. Jemand hätte den Notruf gewählt, weil sich eine Person mit blauer Mütze und roter Jacke auf dem Baustellenbereich aufgehalten hätte und das wäre alles sehr verdächtig gewesen.
Ich tue freundlich kund, dass ich das alles grad echt nicht mehr aushalte und die Nase mehr als voll habe, doch diese beiden Polizisten sind etwas kommunikativer als ihre Kollegen von vor zehn Minuten und hören sich immerhin die Story an, warum ich denn meinen blödsinnigen Superheldeneinsatz für unbedingt notwendig hielte. Hey, immerhin nahmen die mich nicht mit aufs Revier, das ist ja schon mal viel wert.
Und irgendwie fallen mir noch tausend Dinge ein, die ich zu solchen Sachverhalten tippen möchte, aber der Superheld legt sich jetzt erst einmal ins Bett, denn der Superheld hat sich an der rechten Hand verletzt.
Keine Ahnung: Sowas passiert mir halt allzu regelmäßig.
Und ich habe einfach die Schnauze voll. Das nächste Mal laufe ich einfach weiter, sollen sich die Leute halt an der blöden Tür zu Klump fahren.
Undank ist der Welt Lohn.