ADFC – Quo vadis?
...
Die Politik des ADFC in Bezug auf Fahrradwege war mir lange ein Rätsel.
Ich weiß und verstehe, dass Radwege eine Gefahr besonders an Intersektionen darstellen. Viele Studien zeigen, dass Fahrbahnradeln sicherer für Radler ist.
Der ADFC behauptet gar: “Die Fahrbahn ist sicher.“
Betrachtet man die Unfallzahlen, wird einem schnell klar, dass hier Positiv und Komparativ, nämlich “sicher“ und “sicherer“ verwechselt werden.
Doch es soll hier nicht um Grammatikschwächen gehen. Entscheidender ist die Frage: Für wen sind Fahrbahnen sicherer?
Für den Großteil der Radler nicht. 15 Jahre nach Aufhebung der generellen Benutzungspflicht in der StVO von 1997 benutzen die meisten Radler, Untersuchungen sprechen von über 90%, lieber nichtbenutzungspflichtige Radwege als Fahrbahnen. Wo es trotz starken Verkehrs keine Radwege gibt, benutzen viele den Gehweg.
Der behördliche Rückbau von Radwegen stößt zunehmend auf den Widerspruch und den Widerstand der jeweils ansässigen radfahrenden Bevölkerung.
Attraktive Neuerungen, im Straßenverkehr wie überall sonst, sprechen sich schnell herum und finden sofort massenhaft Anwendung. Das Fahrbahnradeln ist ganz offensichtlich äußerst unattraktiv.
Warum ist das Fahrbahnradeln dermaßen unattraktiv?
Das subjektive Sicherheitsgefühl ist auf der Fahrbahn durch ständig zu eng überholende, schnell fahrende, hupende und drängelnde PKW, Busse und LKW auf das Äußerste beeinträchtigt. Es ist kaum ein höherer Stressfaktor denkbar, als eine ständig neu heran rollende Gefahr von außerhalb des Gesichtsfeldes, nämlich von hinten.
Nur für einige der jüngeren, sportlichen Radler ist der Geschwindigkeits- und Sicherheitsgewinn auf der Fahrbahn attraktiv. Die Geschwindigkeit, das sich Durchkämpfen durch den motorisierten Verkehr, das ständige und doch überraschende Dichtüberholtwerden, das Gehupe, das Schneiden, die Nötigungen, kurz: der ständige Kampf machen das Fahrbahnradeln anscheinend zu einer der in neuerer Zeit beliebten Risiko- oder Extremsportarten, inklusive der angestrebten Adrenalindusche. Die „Stars“ dieser Szene sind bezeichnenderweise die kein Risiko scheuenden Kurierfahrer, die möglichst auf „Fixies“, Räder ohne Gangschaltung und ohne Bremsen, unterwegs sind.
Für alle anderen ist Fahrbahnradeln schlicht abschreckend. Besonders Ältere, Kinder und Jugendliche sowie Eltern, die Kinder im Anhänger oder auf dem Kindersitz mit sich führen, sieht man häufig in Ermangelung von Radwegen auf Gehwegen radeln. Für die genannten ist Fahrbahnradeln oft geradezu No Go.
Die einen so, die anderen so, wo ist das Problem?
Das Problem ist, dass nur eine Erhöhung der Attraktivität eines Verkehrsmittels zu seiner stärkeren Nutzung führt. Die Aufhebung der Benutzungspflicht von Radwegen führt in Zeiten knapper Kassen zwangsläufig zur Vernachlässigung oder sogar zum Rückbau der ohnehin schlecht bis übelst ausgebauten, aber dennoch beliebten Radwege.
Die Schraube dreht sich mit der Verlagerung des Radverkehrs auf die Fahrbahn weiter: Fahrradfahren wird noch einmal unattraktiver.
Die in der Politik bestens vernetzte Autolobby sieht die Vernachlässigung der Radinfrastruktur mit einem oder zwei lachenden Augen:
Die, jedenfalls für die sportlichen Radler, gut gemeinten Umbauten wirken als Bremse gegen den Fahrradboom.
Safety first?
Das erste Argument für das Fahrbahnradeln ist stets die Sicherheit. In einem höchst seltsamen Widerspruch dazu steht die Ablehnung Helmpflicht. Nahezu die gesamte kleine Fraktion der angeblich doch so sehr auf Sicherheit erpichten Fahrbahnradler inklusive des ADFC lehnt eine Helmpflicht für Radler entrüstet ab.
Nanu? War nicht eben noch die Sicherheit oberstes Gebot? Des Rätsels Lösung: Es geht gar nicht um Sicherheit. Es geht darum, dass für diesen Teil der Radler, in der Mehrzahl männlich, risikofreudig, die Geschwindigkeit liebend und die Auseinandersetzung nicht scheuend, die Fahrbahn attraktiver ist.
Nebenbei: Auch der Autor ist gegen eine Helmpflicht für Radfahrer. Obwohl der Helm die Sicherheit eindeutig erhöht, macht eine Helmpflicht das Radfahren unattraktiver. Das betrifft besonders Frauen, die es sich viel weniger als Männer leisten können oder wollen, ständig mit zerstörter Frisur aufzutreten. In der Abwägung zwischen Attraktivität und Sicherheit muss die Attraktivität des Fahrradfahrens besonders gewichtet werden und, wenn möglich, an erster Stelle stehen.
Natürlich ist auch Sicherheit wichtig. Nur: Wer benutzt ein Fahrrad, um möglichst sicher von A nach B zu kommen?
Fahrrad gefahren wird aus ökonomischen, aus Gesundheits-, aus sportlichen, aus Entspannungs- oder auch aus ökologischen Gründen. Wer beim Radeln in erster Linie Sicherheit will, der will zuallererst Sicherheit auch als subjektives Gefühl erfahren - oder aber er fährt gleich mit dem SUV zum Spinning in den Gym.
Wie schaffen wir mehr Sicherheit? – Durch die Steigerung des Radverkehrsanteils.
Eine Steigerung des Radverkehrsanteils ist nicht mit einem Abbau, sondern nur mit einem Ausbau der entsprechenden Infrastruktur zu bekommen. Hier spielen selbstverständlich Sicherheits-, aber in allererster Linie Attraktivitätsgesichtspunkte wie Breite und Untergrund der Radwege, wenige Unterbrechungen, Separierung vom Fuß- und Autoverkehr usw. eine Rolle.
Erst die signifikante Erhöhung des Radanteils am Gesamtverkehr wird auf den Straßen, auf denen wegen minderer Verkehrsbelastung keine oder keine getrennten Radanlagen nötig sind, das Fahrbahnradeln sicherer machen.
Weshalb denn nun hält der ADFC an seiner von der übergroßen Mehrheit der Radfahrer nicht gewollten und zudem für den Radverkehrsanteil verhängnisvollen Politik fest?
Der ADFC ist eine Vereinigung von sozusagen in der Diaspora sozialisierten Radlern. Über Jahrzehnte gab es in Deutschland nur ein ernst genommenes Verkehrsmittel: das Auto. Der Trend zum Fahrrad als das urbane Verkehrsmittel ist relativ neu. Von guten Radwegen, sicherheitstechnischen Neuerungen und verbesserten Radführungen an den unfallträchtigen Intersektionen, gar von Fahrradschnellwegen, oder von einer Konkurrenz der Städte um den höchsten Radverkehrsanteil, von all dem war jahrzehntelang nicht einmal zu träumen.
So blieb, um den indiskutablen Radwegen entfliehen zu können, der kleinen Zahl der Radler nur die Fahrbahn als Ziel ihrer Träume. Zu den wenigen verkehrspolitischen Erfolgen des ADFC in einer autodominierten Welt gehört die erstmals 1997 in der StVO festgeschriebene Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht.
Niemand trennt sich gern von seinen Erfolgen. Die Mitglieder des ADFC haben sich über die Jahrzehnte in Ermangelung realistischer Alternativen geradezu auf das Fahrbahnradeln eingeschworen. Fahrbahnradeln hat in dieser Gemeinschaft nahezu den Rang eines religiösen Glaubensbekenntnisses angenommen.
Der neue Fahrradboom hat seine Ursachen in einer zunehmend gesundheitsbewussten Stadtbevölkerung, in der Diskussion um stadt- und menschenverträgliche Verkehrskonzepte und nicht zuletzt in der Diskussion um den Klimawandel. Antworten auf den Fahrradboom werden auch vom ADFC erwartet. Es ist höchste Zeit für den ADFC, die heute als Klientelpolitik zugunsten seiner alten Kundschaft erscheinenden Konzepte aufzugeben und sich den neuen Herausforderungen zu stellen, nämlich eine Fahrradpolitik für breite Kreise der Bevölkerung zu entwickeln und zu betreiben.