Das 49-Euro-Ticket kommt

  • Fahrgastverbände umschreiben das gerne als "man braucht das große Fahrgast-Abitur", oder "-diplom".

    Wer das Münchner Tarifsystem verstanden hat, steht deswegen in Berlin, Nürnberg oder Hamburg trotzdem erst einmal da wie der Ochs vorm Berg und studiert 10 Minuten lang Zonenkarten und unverständliche Texterklärungen.

    Eigentlich müsste es doch so sein, dass der Münchner, der nach Hannover kommt, einige Zeit drauf verwendet, das örtliche ÖPNV-Tarifsystem zu durchschauen und dann Vergleiche zieht zu dem ihn bereits bekannten, zum Beispiel das in München.

    Dann macht er erste Fahrversuche und erlebt erste "Reinfälle", weil er feststellt, dass es vielleicht noch eine günstigere Option gegeben hätte. Das nimmt er aber dem Tarifsystem und seinen Machern nicht krumm. Lehrgeld halt. Was solls.

    Was in dieser Sache so daneben läuft, ist die Einfachheit, mit der Autofahrer über Tarifgrenzen hinweg immer dieselben Bedingungen vorfinden, ohne groß über Tarifsysteme nachdenken zu müssen.

    Müsste dagegen ein Münchner auf seinem Weg mit dem Auto nach Hannover zunächst für die Benutzung der Straßen im Großraum München bezahlen, dann für die Autobahn-Nutzung bis Hannover, und dann im Großraum Hannover nochmal eine eigene Straßengebühr bezahlen, dann sähe das schon ganz anders aus. Insbesondere dann, wenn die Berechnungsgrundlagen stark variieren. Zum Beispiel völlig unterschiedliche Fahrzeug-Gewichtsklassen mit unterschiedlich abgestuften Preisen. Oder unterschiedliche Berechnungsgrundlagen hie PS, dort Fahrzeuggewicht, hie Anzahl Sitzplätze oder Kofferraumvolumen, dort Schadstoffausstoß usw.

    Im Verglich dazu könnten vorhandene ÖPNV-Tarifsysteme plötzlich übersichtlich erscheinen.

  • Und noch was: es müsste bei Göttingen neue Reifen aufziehen und die im Süden vorgeschriebene orangene Warnweste gegen die im Norden vorgeschriebene gelbe Warnweste tauschen.

    Dann würde er sich den Zuständen im internationalen Bahnverkehr nähern.

  • Und so braute sich gestern der perfekte Sturm zusammen: Neun-Euro-Ticket plus so genanntes Ausflugswetter in Form einer Hitzewelle plus Baumaßnahmen zwischen Uelzen und Hamburg plus einer Oberleitungsstörung zwischen Lüneburg und Hamburg — und plus eines Schadens an der Strecke zwischen Hannover und Bremen.

    Hannover und Bremen? Jo.

    Und so fuhren die ICEs, die momentan aufgrund der Baumaßnahmen zwischen Uelzen und Hamburg zwischen Hannover und Hamburg über Bremen umgeleitet werden, wieder auf dem alten, direkten Weg, um das fein gewebte Netz aus Anschlussverbindungen und Verspätungen nicht komplett zum Kollaps zu bringen. Und die ICEs, die eigentlich regulär über Bremen fahren und aufgrund der Baumaßnahmen als Bummel-ICE von Hannover nach Hamburg mit Halt in Lüneburg, Uelzen und Celle fuhren, wurden über die schadhafte Strecke umgeleitet, denn bei denen ist ja eh alles egal. Soweit alles klar?

    Und der Regionalverkehr fiel stundenlang aus. Und Schienenersatzverkehr gab es auch keinen, angeblich wegen Personalmangels aufgrund der Corona-Pandemie. Ich weiß überhaupt nicht, wann hier irgendwann einmal Schienenersatzverkehr angeboten wurde und halte das mit dem Personalmangel für eine Schutzbehauptung — man hat hier einfach nie einen bestellt. Kann ich mich nicht dran erinnern.

    Es wurde dann empfohlen, mit der S-Bahn von Hamburg nach Harburg zu fahren und dort den regulären, aufgrund der Baumaßnahmen eingerichteten Busverkehr zu nutzen, der aber natürlich mit seinen lustigen Bussen, in den dann die Leute aus sieben prall gefüllten Doppelstockwagen reinpassen sollen, komplett überfordert war.

    Im Endeffekt ließ man sich von irgendjemandem abholen oder mitnehmen — oder harrt wie ich am Bahnhof aus, um den einzigen RE 3 zu erwischen, der an dem Tag noch fuhr. Immerhin blieb es bei annehmbaren 150 Minuten Verspätung. Das ist ja schon beinahe normal.

  • uff...

    Vor allem hätte ich ja auch einfach wieder mit dem Rad von Hamburg nach Lüneburg fahren können. Wäre ja seit Beginn der Neun-Euro-Saga nicht einmal das erste Mal, dass das passiert. Nur: Bei mehr als 30 °C, beziehungsweise bei stellenweise fast 38 °C ist mir das mit dem Radfahren dann doch ein bisschen zu blöd, auch wenn's abends deutlich kühler wurde.

  • Eine clevere Idee hat der Verkehrsverbund Stuttgart entwickelt. Wer nach der 3-monatigen "ÖPNV-Testphase" Abonnent wird, der bekommt seine Ausgaben für das 9-Euro-Ticket zurückerstattet:

    "Cashback-Aktion zum 9-Euro-Ticket

    Wer im September im Rahmen der Cashback-Aktion in das Abo einsteigt, erhält von der SSB die Kosten von bis zu drei 9-Euro-Tickets zurück! Da die Aktion nur bei Abo-Einstieg im September gilt, muss die Bestellung bis Montag, den 15. August 2022 eingegangen sein."

    VVS-News: Jetzt 9-Euro-Ticket in der VVS-App kaufen

    Allerdings kostet bereits das Abo für 1 Jahr für nur eine Zone bereits 722 Euro. Da entspricht der Preisnachlass gerade mal 3,7 %.

    Das 7-Zonen-Jahresabo Plus kostet 2.478,80. Der Preisnachlass entspricht dann 1 %.

  • ""Das 9-Euro-Ticket war ein Fehler", kritisiert Tatje. "Die Bahn hat kein Nachfrageproblem, sondern ein Angebotsproblem." Aber er kennt auch eine Lösung: "Die ist eigentlich einfach: mehr Züge und mehr Gleise." In all "dem Murks, der da passiert", liege auch eine "einzigartige Chance, die Mobilität zu verändern"." Zitat aus der von Gerhart verlinkten Quelle.

    Wenn dem 9-Euro-Ticket eine gute Seite abzugewinnen ist, dann genau diese! Die Menschen sind bereit, den ÖPNV zu benutzen. Wenn dann noch eine Rabbat-Aktion dazu kommt, wie das 9-Euro-Ticket, dann ist es nicht mehr zu übersehen: Das Angebot reicht nicht aus.

    Und die armselige Begründung Lindners für seine Ablehnung einer Fortsetzung des 9-uro-Tickets ist: "Es zahlten damit auch diejenigen, die das Angebot selbst im ländlichen Raum gar nicht nutzen könnten. Das Konzept überzeuge ihn nicht." BR24 vom 23.7.2022

    Lindner: Keine weiteren Bundesmittel für das 9-Euro-Ticket
    Bundesfinanzminister Christian Lindner hat eine weitere Finanzierung des 9-Euro-Tickets strikt abgelehnt. Eine klare Mehrheit der Deutschen wünscht sich zwar…
    www.br.de

    Kein Wort dazu, dass seit Jahren das Angebot im ländlichen Raum an vielen Stellen zurückgebaut wurde. Dort allerdings, wo das ÖPNV-Angebot im ländlichen Raum ausgebaut wurde, wird es auch angenommen.

  • Und die armselige Begründung Lindners für seine Ablehnung einer Fortsetzung des 9-uro-Tickets ist: "Es zahlten damit auch diejenigen, die das Angebot selbst im ländlichen Raum gar nicht nutzen könnten. Das Konzept überzeuge ihn nicht."

    Da muss ich Lindner Recht geben. Mir als Radfahrer hilft aber auch der "Tankrabatt" nicht weiter.

    Solange Dummheit als plausible Erklärung ausreicht, sollte man keinen Vorsatz annehmen.

  • Da muss ich Lindner Recht geben. Mir als Radfahrer hilft aber auch der "Tankrabatt" nicht weiter.

    Da kann ich Lindner ganz und gar nicht zustimmen. Denn es sollte ihm hochnotpeinlich sein, dass das ÖPNV-Angebot in manchen ländlichen Räumen so unterentwickelt ist. Und sein Parteikollege im Amt des Verkehrsministers sollte es Ansporn sein, umgehend für Abhilfe zu sorgen!

  • Wo wir wieder hier wären: "Die Bahn hat kein Nachfrageproblem, sondern ein Angebotsproblem."

    Das 9€-Ticket verbessert nicht das Angebot, sondern kostet Milliarden, die man besser in das Angebot investiert hätte.

    Solange Dummheit als plausible Erklärung ausreicht, sollte man keinen Vorsatz annehmen.

  • Ich frag mich ja, warum bei dieser ganzen Diskussion nicht endlich mal die Kosten des Autoverkehrs auf den Tisch kommen? Von Subventionen über laufende Kosten bis hin zu den Langzeitfolgen? Eine Steilvorlage, um jeglichem ÖPNV-Finanzierungsgeschwätz sofort die Luft rauszulassen.

    Die sollen sich fetzen im Parlament, von mir aus prügeln! Zur besten Sendezeit! Aber was passiert? Sommerpause... :)

    Dieses devote "darüber spricht man nicht" geht mir inzwischen sooo auf den Keks. Ein Ringelpiez mit Anfassen. Da wünsch ich mir doch den Chruschtschow, der in seinem legendären Wutanfall mit einem Schuh aufs UNO-Rednerpult einschlug. Is doch wahr!

    Grüne wollen 9-Euro-Ticket statt umweltschädlicher Subventionen
    Das 9-Euro-Ticket kommt bei den Deutschen gut an. Doch wie könnte der Fahrschein über den August hinaus dauerhaft finanziert werden? Der Finanzminister sperrt…
    www.spiegel.de
  • Sofern ich mich ja freue, dass die Leute mit der Bahn fahren und eventuell zu einem gewissen Teil das auto stehen lassen, so sehr freue ich mich auch auf den 1. September, wenn man die Bahn auch wieder nutzen kann.

    Der Metronom rechts war heute Mittag schon wieder dermaßen voll, dass einige Fahrgäste am Bahnsteig zurückblieben. Von der Fahrradmitnahme will ich gar nicht erst wieder anfangen, aber auch mit Kindern, Gepäck oder einem Rollstuhl hat man hier kaum eine Chance, hier verlässlich ans Ziel gebracht zu werden.

    Links steht der kleine Bummel-LINT nach Lübeck, der teilweise weiter nach Kiel fährt. „Absolut überfüllt“ ist gar kein Ausdruck für diese Sardinenbüchse. Und wir haben noch nicht einmal genügend Fahrzeuge, um dort einen zweiten LINT 54 anzuhängen, um die Sache wenigstens ein bisschen zu entspannen.

    Ich bin privilegiert genug, um mit dem Fernverkehr fahren zu können. Aber jene Fahrgäste, die sich vielleicht in den letzten Jahren auf den Nahverkehr verlassen haben und sich nicht einfach Fernverkehrsfahrkarten aus dem Ärmel schütteln können (oder der Fernverkehr auf deren Route nicht fährt) sind ja echt vor Probleme gestellt. Unglaublich.

  • Malte, sorry, Du lässt den nicht unrelevanten Fakt, dass derzeit baustellenbedingt auf der Relation nur ca. 1 von 3 Zügen pro Stunde fährt einfach weg.

    Auf den Strecken von Hamburg nach Bremen oder Lübeck findet man trotz 9€-Ticket fast immer noch einen Sitzplatz.

    Und ich hab neulich in Hannover Hbf auch nicht mehr in die RB38 über Soltau nach Hamburg gepasst. Das lag auch nicht am 9€-Ticket, sondern daran dass die Leute diese Verbindung statt des Metronom incl. SEV genutzt hatten (und man nur einen statt 2 LINT eingesetzt hatte).

    Na mal sehen ob die DB meinen Antrag auf Erstattung der ICE-Fahrkarte akzeptiert.

  • Malte, sorry, Du lässt den nicht unrelevanten Fakt, dass derzeit baustellenbedingt auf der Relation nur ca. 1 von 3 Zügen pro Stunde fährt einfach weg.

    Jain — ja, ich hab’s nicht erwähnt, weil ich dachte, das weiß hier inzwischen jeder ;)

    Der Zug, der hier entfällt, ist allerdings der Bummelzug, der von Lüneburg nach Hamburg und zurück fährt. Wenn der RE 3 aus Hannover oder Uelzen schon voll in Lüneburg ankommt, spielt die RB 31 noch gar keine Rolle. Und ich habe auch meine Zweifel, ob die Fahrgäste, die zu 95 Prozent direkt nach Hamburg wollen, angesichts der Überfüllung von vornherein auf die RB 31 ausgewichen wären.

  • Ja wahrscheinlich weiß es auch jeder. Es frustriert einfach wenn die ganzen Baumaßnahmen das System "Bahn" oft in einem schlechten Licht da stehen lassen. Auf das 9€-Ticket kann man es auf jeden Fall nicht schieben. Es sind einzelne Züge dadurch überfüllt, ja aber meist war dann auch irgendwo eine Störung beteiligt - und das gab es auch 2019 schon.

    Die RB 31 fährt ja sonst kurz nach dem RE3 nach Hamburg. Natürlich wäre man damit 20 Minuten später in Hamburg. Aber besser 20 Minuten später und als "Entschädigung" in einem nicht ganz so vollen Zug als 60 Minuten später auch nicht wissen, ob man mitgenommen werden kann.