Hamburg - Unfälle mit Radfahrern

  • Ob die Autofahrerin ihn übersehen hat, weiß die Zeitung gar nicht. Vielleicht dachte die Fahrerin ja: "Heute hab ich keinen Bock zu glotzen, ich lass es einfach drauf ankommen?" Das erscheint zumindest plausibler als die Annahme, jemand hält vorsichtshalber vor der Furt an, guckt nach links und nach rechts und erkennt - durch eine plötzliche Sehschwäche verursacht - den Radfahrer nicht.

    „Übersehen“ ist ein Symptom, keine Ursache.

    Im übrigen ist dieses Rummäkeln der Fahrradblase an einzelnen Formulierungen in Presseberichten eine Konsequenz aus dem deutschen Verkehrsunfallstatistikgesetz, das die deutsche Polizei dazu verpflichtet, bei der Unfallaufnahme einen Schuldigen zu bennenen und dazu ein konkretes Fehlverhalten für die Statistik festzuhalten. Das gibt es so im Ausland nicht, so dass Hergang und Schuld bei Verkehrsunfällen bestenfalls erst im Einzelfall vor Gericht zur Sprache kommen und dort abschließend geurteilt werden. Die deutsche Polizei hingegen muss vorsichtig mit konkreten schweren Anschuldigungen sein, da die ad hoc-Einschätzung durch Gutachter und nachträgliche Zeugenaussagen später korrigiert werden könnte. Insofern ist „Übersah“ schon eine eindeutige Zuweisung der Verantwortung an den Verursacher bzw eine eindeutige Entlastung des Unfallgegners.

  • Insofern ist „Übersah“ schon eine eindeutige Zuweisung der Verantwortung an den Verursacher bzw eine eindeutige Entlastung des Unfallgegners.

    Der Teufel steckt im Detail.

    Die Polizei schreibt bei Autofahrern meist "übersehen". Bei Radfahrern hingegen "ohne auf den Verkehr zu achten".

    Beides sind klare Zuweisungen der Schuld, jedoch mit deutlich unterschiedlicher Schwere der Schuld:

    "Ups, kann ja mal passieren" vs. "Ignoranz, nahe am Vorsatz"

  • Schlimmer noch: sie schreibt das auch bei Kindern, die in einer T30-Zone überfahren werden.

    Und "ohne auf den Verkehr zu achten" impliziert, dass man selber (als Radfahrer bzw. als Fußgängerin) nicht zum Verkehr dazugehören würde.

  • Bitte einmal auf streetview den Nettelburger Landweg entlang "fahren", es gibt nur in einem kurzen Abschnitt auf beiden Seiten einen Radweg. Er beginnt auch erst an besagter Einmündung an der der Unfall passiert ist.

    Vielen Dank für den Hinweis Wahl HH-ler! Fahrbahnradler, tut mir leid, dass ich das nicht vollständig auf google-street-view gesehen habe. Du hast recht, der von einem Auto gerammte Fahrradfahrer hatte nur die Möglichkeit, auf dem einseitigen Zwei-Richtungs-Radweg zur Unfallstelle zu kommen. Und damit ist es, wie du es ganz zu Recht kritisierst, ein einseitiger Zwangs-Zwei-Richtungsradweg.

    Erst kurz hinter der Bushaltestelle auf der gegenüberliegenden Seite steht ein Radweg-Fußweg-Schild. [Zeichen 241-30]

    Eine Querungsmöglichkeit mit Ampel, um sicher dorthin zu kommen, gibt es erst in Höhe der Einmündung Fanny-Lewald-Ring:

    Google Maps
    Find local businesses, view maps and get driving directions in Google Maps.
    www.google.com

    Und die Ampel-Streuscheibe hat auf dem google-street-view-Bild von 2009 nur ein Fußgänger-Symbol:

    Google Maps
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    Trotzdem ist es so, dass auch ein erreichbarer Fahrradweg auf der anderen Seite nicht unbedingt immer von Fahrradfahren benutzt werden würde, je nachdem wo sie herkommen und hinwollen. Denn dazu müsste eine je Richtung zweispurige Fahrbahn mit Mittelstreifen überquert werden. Würde es auf beiden Seiten der Nettelnburger Landwegs nur einen Einrichtungs-Fahrradweg geben, dann stünden Fahrradfahrer oft vor dem Problem, entweder die Fahrbahnen zu queren oder den Radweg ein Stück entgegengesetzt der üblichen Fahrtrichtung zu schieben. Das wäre auch keine gute Lösung. Die kann nur darin bestehen, den Autoverkehr drastisch zu minimieren, sodass es solche "Monster-Straßenbauwerke" nicht mehr braucht, die alle anderen Verkehrsteilnehmer an den Rand quetschen. Sieht man übrigens auch an den Bushaltestellenbuchten. Der ÖPNV wird dort auch an den Rand, bzw. in die Omnibushaltebucht gequetscht.

  • Und "ohne auf den Verkehr zu achten" impliziert, dass man selber (als Radfahrer bzw. als Fußgängerin) nicht zum Verkehr dazugehören würde.

    „Verkehr“ ist im Volksmund das, was auf der Fahrbahn stattfindet, und zwar auch ausdrücklich aus der Perspektive von Ottonormal-Fußgänger heraus betrachtet. Wenn diese Floskel für Radfahrer verwendet wird, dann nicht weil man Radverkehr per se nicht als Fahrverkehr betrachtet, sondern weil der Radverkehr wie Fußverkehr Flächen benutzt hat, die außerhalb der Fahrbahn liegen.

  • Im übrigen ist dieses Rummäkeln der Fahrradblase an einzelnen Formulierungen in Presseberichten eine Konsequenz aus dem deutschen Verkehrsunfallstatistikgesetz, das die deutsche Polizei dazu verpflichtet, bei der Unfallaufnahme einen Schuldigen zu bennenen und dazu ein konkretes Fehlverhalten für die Statistik festzuhalten.

    Die Gesetzeslage sagt doch aber nicht, dass auch in Pressemitteilungen die Benennung von Schuldigen und das (angenommene/festgestellte) Fehlverhalten erfolgen muss.

    Oder doch? :rolleyes:

  • Die Gesetzeslage sagt doch aber nicht, dass auch in Pressemitteilungen die Benennung von Schuldigen und das (angenommene/festgestellte) Fehlverhalten erfolgen muss.

    Oder doch? :rolleyes:

    Die Polizei sieht sich aufgrund des Auftrags berechtigt und aufgefordert, die Erkenntnisse zum Zwecke der Verkehrserziehung mit der Bevölkerung zu teilen. Mindestens was den Radverkehr anbetrifft, scheint das zu funktionieren. Entgegen anderslautender Propaganda ist Deutschland weltweit führend bei der Radverkehrssicherheit.😈

  • Die deutsche Polizei hingegen muss vorsichtig mit konkreten schweren Anschuldigungen sein, da die ad hoc-Einschätzung durch Gutachter und nachträgliche Zeugenaussagen später korrigiert werden könnte.

    Es wäre eine Tatsachenfeststellung, keine Schuldzuweisung, dass der Radfahrer entlang der Vorfahrtstraße fuhr (man sieht auf dem Bild sogar von hinten das [Zeichen 306] ) und die Autofahrerin nicht. Im vorliegenden Fall wäre es auch eine Tatsachenfeststellung, dass es an der Unfallstelle vorgeschrieben war, auf der falschen Straßenseite zu fahren ( [Zeichen 240] [Zusatzzeichen 1000-33] sieht man auch). Es ist auch eine Tatsache, dass in der VwV-StVO steht, dass das mit besonderen Gefahren verbunden ist und daher innerorts grundsätzlich nicht angeordnet werden soll.

    Steht aber alles nicht im Bericht, sondern nur "übersehen".

  • Hat die Autofahrerin denn absichtlich nicht gesehen? War es also Mord, und ist das auch eine Tatsache?

    Es gibt da noch die Abstufung "bedingt vorsätzliche Tötung". Das ist noch kein Mord. Aber es ist mehr als fahrlässige Tötung. Wenn zum Beispiel jemand mit dem Auto mit hoher Geschwindigkeit durch eine geschlossene Ortschaft fährt oder gar durch einen unübersichtlichen Tempo-30-Streckenabschnitt, dann kann ein "bedingt vorsätzliches" Handeln angenommen werden.

    Einmal editiert, zuletzt von Ullie (30. November 2022 um 17:08) aus folgendem Grund: Es muss heißen "bedingt vorsätzliche Tötung". Ich hatte versehentlich "bestimmt vorsätzliche Tötung" geschrieben.

  • Hat die Autofahrerin denn absichtlich nicht gesehen? War es also Mord, und ist das auch eine Tatsache?

    Behauptet ja keiner?

    Etwas versehentlich nicht sehen, setzt ja voraus, dass du überhaupt geschaut hast.

    In dem Fall sieht m.E. alles so aus, als sei die Autofahrerin halt einfach über die Furt bis zur Fahrbahn vorgefahren ohne zu schauen, ob ein Radler kommt. Dürfte in den meisten derartigen Fällen wohl die eigentliche Unfallursache sein: Gar nicht erst geschaut.

    Wenn man das mit "Übersehen" betitelt, sollte man auch einen Grund angeben, wie das sein kann: Trotz schauen nicht sehen.

  • In dem Fall sieht m.E. alles so aus, als sei die Autofahrerin halt einfach über die Furt bis zur Fahrbahn vorgefahren ohne zu schauen, ob ein Radler kommt. Dürfte in den meisten derartigen Fällen wohl die eigentliche Unfallursache sein: Gar nicht erst geschaut.

    Sagte ich schon, dass "übersehen" ein Symptom und keine eigenständige *Ursache* ist, und deswegen u.a. auch als Folge von "nicht richtig hingucken, obwohl genau das eigentlich an der Stelle vorgeschrieben gewesen wäre" auftreten kann?

  • Ich weiß nicht, ob es zu dem Thema "Schauen und Übersehen" valide Untersuchungen gibt.

    Aber ich vermute sehr stark, dass in der persönlichen Wahrnehmung oder Einschätzung vieler Autofahrer Fahrradfahrer (und Fußgänger) grundsätzlich nicht schauen und nur dank der vielen aufmerksamen Autofahrer viele Zusammenstöße mit Fahrradfahrern und Fußgängern vermieden werden.

    Umgekehrt dürfte jedoch einiges dafür sprechen, dass Fahrradfahrer*innen und Fußgänger*innen deutlich aufmerksamer am Verkehr teilnehmen, weil sie von Unfallfolgen viel unmittelbarer betroffen sind.

  • Beitrag von krapotke (30. November 2022 um 16:50)

    Dieser Beitrag wurde vom Autor gelöscht (5. Januar 2023 um 09:44).
  • Sagte ich schon, dass "übersehen" ein Symptom und keine eigenständige *Ursache* ist, und deswegen u.a. auch als Folge von "nicht richtig hingucken, obwohl genau das eigentlich an der Stelle vorgeschrieben gewesen wäre" auftreten kann?

    Hast du :)

    Ob Übersehen ohne Hingucken "auftreten kann" oder nicht, ist Geschmackssache. Aber Sprache macht was mit dem Denken, deswegen krampfen wir uns ja einen ab mit political correctness.

  • Bedingter Vorsatz reicht aus, um eine Tat vorsätzlich (mit Wissen und Wollen) zu begehen. Werden dann Mordmerkmale nachgewiesen, ist auch die bedingt vorsätzliche Tötung eines Menschen ein Mord. Vgl. Kurfürstendammraser

    Danke für deinen Beitrag, krapotke!

    Es muss heißen "bedingt vorsätzliche Tötung". Ich hatte versehentlich "bestimmt vorsätzliche Tötung" geschrieben. Das habe ich inzwischen in meinem Beitrag weiter oben korrigiert. Dein Beitrag mit dem Begriff "bedingter Vorsatz" hatte mich noch mal nachschauen lassen.

    Und vielen Dank nochmal für den Link zum Kurfürstendammraser.

    Leider enthält er auch die Aussage:

    "Nur die Annahme des Landesgerichtes, dass das Auto ein gemeingefährliches Mittel sei, lehnte der BGH wegen Beweismängeln ab."

    Ich würde dem Landesgericht in dieser Frage nicht widersprechen. Das Auto ist tatsächlich ein gemeingefährliches Mittel. Und Beweise dafür gibt es jeden Tag auf den vielen Todeszonen in Deutschland.

    Und nicht nur Menschen sind betroffen:

    "IMMER MEHR TIERE STERBEN AUF DER AUTOBAHN

    Todeszone Mittelleitplanke"

    Stadtspiegel Essen vom 7. Juni 21

    Immer mehr Tiere sterben auf der Autobahn: Todeszone Mittelleitplanke
    Zuerst macht man sich persönlich keine Gedanken darüber, aber jetzt doch. Immer mehr Tiere aller Art sterben beim Überqueren der Autobahn. Sicherlich aus…
    www.lokalkompass.de

    Allerdings: Den Straftatbestand "Mord an Tieren" gibt es nicht in Deutschland.

    Was kann einem Autofahrer drohen, der ein Tier überfährt?

    "Sie beschmutzten/benetzten die Straße und schafften dadurch einen verkehrswidrigen Zustand, der den Verkehr gefährden/erschweren konnte. 10 €"

    Bußgeldkatalog.org


    https://www.bussgeldkatalog.org/tier-ueberfahren/#bussgeldkatalog_zum_thema_%e2%80%9etier_ueberfahren

    "Auf deutschen Straßen ... kommt statistisch auf jedem zweiten Kilometer ein Reh und auf jedem dritten eine Wildkatze pro Jahr ums Leben. Insgesamt zählt Deutschland mit rund 16 Millionen getöteten Vögeln und drei Millionen Säugetieren zu den Spitzenreitern innerhalb Europas."

    SZ vom 5.7.2020

    https://www.sueddeutsche.de/wissen/artensc…rhalb%20Europas.

    Menschen, die der Auto-Raserei durch mutige Aktionen Einhalt gebieten, werden von der FDP kriminalisiert.

    Autofahrer dagegen, die mit ihrer von der FDP abgesegneten und unerbittlich verteidigten ganz legalen Raserei Millionen Tiere töten, begehen lediglich eine Ordnungswidrigkeit, die sie 10 Euro kostet, aber auch nur dann, wenn sie das tote Tier nicht wegräumen und dabei "erwischt werden", dass sie es nicht wegräumen.

  • ...

    In dem Fall sieht m.E. alles so aus, als sei die Autofahrerin halt einfach über die Furt bis zur Fahrbahn vorgefahren ohne zu schauen, ob ein Radler kommt. Dürfte in den meisten derartigen Fällen wohl die eigentliche Unfallursache sein: Gar nicht erst geschaut.

    ...

    Da lehnst Du Dich aber ziemlich weit aus dem Fenster. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Autofahrerin zwar geschaut, die Angelegenheit jedoch geistig nicht richtig verarbeitet hat, mithin ein Wahrnehmungsfehler.

  • Viel wahrscheinlicher ist, dass die Autofahrerin zwar geschaut, die Angelegenheit jedoch geistig nicht richtig verarbeitet hat, mithin ein Wahrnehmungsfehler.

    "Herr Richter, ich kann nicht garantieren, dass ich nicht wieder jemanden übern Haufen fahre. Ich hab da so ein geistiges Problem..."

    "Macht nichts, weiterfahren".

    :)